Herr Eppendorf hat aber auch abgebaut
Einführung in den Pflegeprozess und das Führen des Pflegeplanungsgesprächs mit einem zu pflegenden Menschen in der stationären Langzeitversorgung
Der Fall
Herr Eppendorf hat aber auch abgebaut
Natascha ist in der Ausbildung zur Pflegefachkraft und hat seit einer Woche ihren Einsatz im Pflegeheim im Wohnbereich 2. Heute soll sie Pflegerin Susanne begleiten, mit der sie noch nicht gearbeitet hat. Diese schärft ihr vor Beginn der Arbeit ein: „Schau gut zu und bemüh dich, dass du die Bewohner kennenlernst! Wenn du etwas nicht verstehst, dann fragst du einfach.“
Gegen 7:30 versorgt Pflegerin Susanne Herrn Eppendorf. Während Susanne Herrn Eppendorf im Bett wäscht, fällt Natascha auf, dass er die ganze Zeit zur Wand schaut. Er sagt kein einziges Wort. Susanne setzt ihn auf die Bettkante, um ihm dort seine Oberbekleidung anzuziehen. Sie legt ihren linken Arm um seine Schultern, den rechten Arm unter seine Knie und bewegt ihn herum. Natascha bemerkt, dass Herr Eppendorf sich bei der Bewegung zur Bettkante in Susannes Hemd krallt und dabei laut „Oh, Vorsicht!“ ruft. Als er dann auf der Bettkante sitzt, wirkt er nicht glücklich. Seine Blicke bewegen sich schnell zwischen Natascha und Susanne hin und her. Als Susanne ihn dann auf den Rollstuhl transferieren will, sieht Natascha, wie sich Herr Eppendorf verkrampft und die Arme an den Körper presst. „Na, na, Herr Eppendorf, ist doch alles gut“ sagt Susanne und hebt ihn in den Rollstuhl. Herr Eppendorf ruft dabei wieder laut „Vorsicht, Vorsicht!“, seine Arme zucken hin und her und seine Hände greifen ins Leere. Als er dann im Rollstuhl sitzt, atmet er schnell und hektisch und starrt zu Boden. Schwester Susanne lacht und sagt: „Bei Herrn Eppendorf musst du schnell arbeiten, der mag das alles nicht so!“
Susanne beauftragt dann Natascha, Herrn Eppendorf in den Speisesaal zum Frühstück zu bringen. Dort angekommen, stellt sie fest, dass Herr Eppendorfs Frühstückstablett noch fehlt. Sie geht und holt es. Als sie wiederkommt, fällt ihr auf, dass Herr Eppendorfs Schultern zucken, und sie hört ihn leise seufzen. Seine Augen sind gerötet. Natascha fragt: „Herr Eppendorf, was haben Sie denn?“ Herr Eppendorf winkt ab und sagt: „Nix, es ist alles gut.“
Natascha geht zurück zu Pflegerin Susanne. Die erwartet sie schon und sagt: „Ja, der Herr Eppendorf, der hat auch abgebaut. Vor dem Krankenhaus ist der ja noch gelaufen, nicht wie ’ne Eins, aber das ging schon, und dann kam er im Rollstuhl wieder, aber so ist das.“
Natascha fragt Susanne, was das bedeutet, „abgebaut“. „Naja“, sagt Susanne, „siehste doch. Er sitzt halt jetzt im Rollstuhl, kann halt einfach nicht mehr so gut, macht kaum mit und spricht fast nicht.“
Im Verlauf des Unterrichts können weitere Dokumente zur Situation von Herrn Eppendorf ergänzt werden, die als Vorschläge im Anhang eingefügt sind.
Situations-merkmale
Zielgruppe
- ältere Menschen (ab 70 Jahre)
Setting
- stationäre Langzeitversorgung
Pflegeanlass
- Unselbstständigkeit in der Selbstversorgung
- Einschränkungen in der Mobilität
Lernsequenzen
Sequenz 1 - Fünf Säulen der Identität - eigene Ressourcen wahrnehmen
3 Std. (davon Kommunikation: 0,5 Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- erläutern den Begriff der Identität und das Modell zu den "Säulen der Identität" (Petzold, 2012),
- und/ oder erläutern eine Definition des Ressourcenbegriffs, z. B. in Anlehnung an Stefanoni & Alig, 2009, Pos. 353 bzw. Herriger 2014, 93f, sowie ein Modell zur Kategorisierung von Ressourcen, z. B. Herriger, 2006,
- entwickeln ein "Identitätsbild" für ihre eigene Person und identifizieren damit ihre individuellen Stärken und Ressourcen,
- tauschen sich über ihre persönlichen "Identitätsbilder" aus und gewinnen so einen verstehenden Zugang zu einem anderen Menschen im Rahmen einer Lernpartner*innenschaft,
- bestimmen, was für sie persönlich "verstanden werden"/ "nicht verstanden werden" ausmacht,
- reflektieren erfahrungsbezogen Formen des Zugangs zum anderen Menschen und Wege, sich ein Bild von anderen Menschen zu machen.
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
… sammeln Gedanken, Assoziationen und Begriffe zu dem, was sie unter "persönlicher Identität" verstehen |
freie Assoziation - Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch - ggf. Aufnahme/ Angebot der in der Lernsituation "Frau Mauerhoff", Sequenz 5, erarbeiteten Definition |
2 |
… lernen das Modell "5-Säulen-der-Identität" (Petzold) und / oder eine Definition und Kategorisierung von Ressourcen kennen |
Lehrer*invortrag |
3 |
… bestimmen ihre persönlichen identitätstragenden Säulen bzw. die Identitätsziele stützenden individuellen Ressourcen |
Selbsterarbeitungsphase über einen stärker affektiven Zu-gang, z. B. durch eine Phantasiereise und anschließendem Malen von "Identitätsbildern" (Petzold, a. a. O., 533ff) und / oder auch über einen stärker kognitiven - z. B. durch Leitfragen gestützten - schreibenden Zugang oder auch einen Mittelweg im durch Fragen gelenkten Ausmalen und Beschriften vorgegebener "Säulen" <- der Zugangsweg kann von den Lehrenden vorgegeben oder auch von den Lernenden frei gewählt werden |
4 |
… tauschen sich mit Mitlernenden, denen sie vertrauen, über ihre persönlichen Identitätskonzepte aus, hören sich gegenseitig zu, unterstützen durch Nachfragen und geben sich Rückmeldungen zu dem, was sie wechselseitig Neues voneinander erfahren haben |
Partner*innen- oder Triadenarbeit |
5 |
… tauschen sich über ihre Erfahrungen zum Prozess auf einer Metaebene aus und diskutieren erste Ansätze, welchen Zugangsweg zur/ zum Anderen sie wählen, um sie/ ihn "wirklich" zu verstehen - halten hierzu zentrale Thesen für die Abschlussdiskussion fest |
Kreisgespräch - ggf. folgendes Literaturzitat als Diskussions-impuls: "Was tun Sie", wurde Herr K. gefragt, "wenn Sie einen Menschen lieben?" "Ich mache einen Entwurf von ihm", sagte Herr K., "und sorge, daß er ihm ähnlich wird." "Wer? Der Entwurf?" "Nein", sagte Herr K., "der Mensch." (B. Brecht) - evtl. ergänzt um/ erläutert durch den Kurztext "Über das Anfertigen von Bildnissen" aus ders.: Notizen zur Philosophie, 1929-1941 |
Sequenz 2 - Eigene Erfahrungen mit dem Pflegeprozess im Orientierungseinsatz und Aneignung der Situation im Fall
2 Std. (davon Kommunikation: - Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- vergegenwärtigen sich selbsterfahrene bzw. in Texten rezipierte Pflegesituationen und identifizieren darin enthaltene Problemstellungen,
- fassen ihre Beobachtungen zur Umsetzung des Pflegeprozesses in der Praxis zusammen,
- folgen den logischen Schritten der Problemerschließung und Hypothesenbildung als Einstieg in einen strukturierten Problemlösungsprozess.
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
… reaktivieren Kenntnisse zum Pflegeprozess aus vorhergehenden Lernsituationen und rekonstruieren die Handlungsstruktur |
z. B. Strukturlegen - zunächst erste Entwürfe z. B. auf Magic-Charts entwickeln, die im Verlauf der Lernsituation ergänzt, ggf. umgestellt und weiterentwickelt werden |
2 |
… sammeln Erfahrungen und Beobachtungen aus dem Praxiseinsatz zum Umgang mit dem Pflegeprozessmodell - unterscheiden dabei zwischen Pflegeprozess, Pflegeplanung und Pflegedokumentation |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch |
3 |
… lesen das Fallbeispiel, vergegenwärtigen sich die Situation, identifizieren Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit ihren eigenen, in Schritt 2 berichteten bzw. in anderen Reflexions-situationen zum Orientierungseinsatz gesammelten Erfahrungen |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch - ggf. kann die beschriebene Situation szenisch rekonstruiert werden, um sie so besser zu veranschaulichen |
4 |
benennen Probleme in der Situation - "Was läuft hier schief?" - und bilden Hypothesen für die Ursachen dieser Problemstellungen |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch, methodisch angelehnt an das Prinzip des 7-Sprungs im Problemorientierten Lernen (POL) - Dokumentation der identifizierten Problemstellungen und Bildung von Hypothesen für die weitere Erarbeitung (Sequenz 3) bzw. eine Auswertung in der Schlussdiskussion (Sequenz 6) |
Sequenz 3 - Der Pflegeprozess als Instrument - Grundlagen und Konzept
3 Std. (davon Kommunikation: - Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- rezipieren pflegetheoretische Texte, versprachlichen sie in eigenen Worten und veranschaulichen Strukturzusammenhänge grafisch,
- erläutern die theoretischen Begründungszusammenhänge zum Pflegeprozess in seinen Einzelschritten und Zusammenhängen.
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
… erarbeiten arbeitsteilig theoretische Begründungen zu den einzelnen Schritten im Pflegeprozess und fassen ihre Erkenntnisse zusammen |
Gruppenarbeit mit vorstrukturiertem Arbeitsmaterial, z. B. durch Leitfragen und Erarbeitungshinweisen - in 6 Kleingruppen - Ergebnisdokumentation, z. B. auf Flipchart oder mit elektronischen Medien |
2 |
… stellen die Ergebnisse der Erarbeitungen vor, klären Nachfragen und überprüfen bzw. ergänzen die in Sequenz 2, Schritt 4, gebildeten Hypothesen |
Kurzpräsentation mit Diskussion - Alternative: Zusammenführung nach der Jigsaw-Methode / Gruppenpuzzle |
3 |
… fügen das Modell des Pflegeprozesses zusammen, überarbeiten und fixieren damit das in Sequenz 2, Schritt 1, entwickelte Modell in seinem Gesamtzusammenhang |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch im Plenum |
Sequenz 4 - Den Pflegeprozess für Herrn Eppendorf planen
6 Std. (davon Kommunikation: - Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- wenden die erarbeiteten Begrifflichkeiten auf eine individuelle Situation an,
- setzen theoretisch erarbeitete Strukturen des Pflegeprozesses in praktische, auf eine Pflegesituation abgestimmte Handlungsschritte um,
- stellen die im Rahmen der Pflegeanamnese bzw. aus weiteren Quellen und Beobachtungen entnommenen Informationen übersichtlich zusammen,
- priorisieren die Problemstellungen des zu pflegenden Menschen in den erhobenen Daten und identifizieren zugehörige Ressourcen,
- kennen Kriterien für die Problemformulierung, üben die Formulierung für die ausgewählten zentralen Problemstellungen und erkennen Qualitätsunterschiede - ggf. orientiert an der PES-Struktur,
- leiten für die identifizierten zentralen Probleme realistische überprüfbare Ziele her,
- entwickeln Vorschläge für geeignete pflegerische Maßnahmen auf der Grundlage ihrer pflegerischen Diagnostik und den daraus abgeleiteten Zielsetzungen,
- entwickeln aus verschiedenen Dokumentationsunterlagen ein Vorstellungsbild von der Identität und Persönlichkeit des zu pflegenden Menschen,
- bilden Hypothesen zu dem, was Herr Eppendorf unter "Wohlbefinden" und "Lebensqualität" verstehen könnte,
- leiten aus ihren Überlegungen ein Rollenskript für die Persönlichkeit von Herrn Eppendorf ab.
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
… sichten ergänzende Informationen zur Fallsituation und stellen alle Informationen übersichtlich geordnet zusammen, z. B. orientiert an der ABEDL-Struktur |
Schritt 1-7: Kleingruppenarbeit mit Leittexten, die am Pflegeprozessmodell als vollständiger Handlung orientiert sind - anhand von Arbeitsmaterialien, die die Grundlage für die Zusammenstellung und Ordnung der Informations-sammlung und die Erstellung einer individualisierten Pflegeprozessplanung bilden; für den relativ langen Zeitraum der Selbsterarbeitung sollte eine kontinuierliche Begleitung durch die/ den Lehrer*in verabredet werden |
2 |
… entwickeln auf der Grundlage ihrer Informationssammlung ein Vorstellungsbild von der personalen Identität von Herrn Eppendorf und füllen Lücken mit eigenen Ideen und Gedanken auf |
durch ein Arbeitsblatt mit Fragen zur Persönlichkeit und Lebensgeschichte von Herrn Eppendorf, die in den Unterlagen z. T. noch nicht gefüllt sind, sollten die Lernenden in Vorbereitung auf Sequenz 5 angeregt werden, ihr Bild von der Person zu konkretisieren und sich z. B. auch eine Vorstellung von seiner Körperhaltung, der Stimmlage und dem Sprachgestus machen |
3 |
... bestimmen ergänzend zu dem so entwickelten Rollenskript die Wünsche und Bedürfnisse von Herrn Eppendorf: "Was versteht Herr Eppendorf wohl unter Wohlbefinden und Lebensqualität und welche Pflegeinterventionen und Angebote könnten dazu beitragen, sein Wohlbefinden zu erhalten oder gar zu steigern?" |
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4 |
... identifizieren vor dem Hintergrund dieser Erarbeitung problematische Momente in der aktuellen Lebenssituation von Herrn Eppendorf und beziehen sich dabei auch auf Sequenz 2, Schritt 3 |
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5 |
... priorisieren die gefundenen Probleme für die aktuelle Situation zwischen ++ (sehr bedeutungsvoll) und -- (weniger bedeutungsvoll), wählen 4 für die morgendliche Versorgung zentrale Problemstellungen aus und formulieren diese möglichst exakt - ggf., wenn zuvor bereits thematisiert, in der PES-Struktur |
die/ der begleitende Lehrer*in gibt in den Arbeitsgruppen ergänzend zum vorbereiteten Arbeitsmaterial Hilfestellungen und sollte sich dabei auch einen guten Überblick über die entwickelten Vorstellungen von der Person Eppendorf verschaffen, um für Sequenz 5 zu möglichst kontrastiven Gruppenzusammenstellungen zu gelangen |
6 |
... bestimmen für die ausgewählten Probleme realistische, nachprüfbare Ziele |
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7 |
... entwickeln vor dem Hintergrund dieser Pflegeprozessplanung möglichst konkrete Vorschläge für eine Anpassung/ Veränderung im Ablauf der morgendlichen Versorgung von Herrn Eppendorf |
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Sequenz 5 - Ein Pflegeplanungsgespräch mit Herrn Eppendorf führen, evaluieren und dokumentieren
5 Std. (davon Kommunikation: 2 Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- entwickeln bzw. kennen eine Definition des Begriffs "Aushandlung" und bestimmen, inwiefern es sich bei der Kommunikation mit zu pflegenden Menschen um Aushandlungsprozesse handelt,
- kennen die Zielsetzungen eines Pflegeplanungsgesprächs und bestimmen für das Gespräch mit Herrn Eppendorf konkrete Zielsetzungen,
- entwickeln jeweils Formulierungen für die Initiierung und Durchführung des Pflegeplanungsgesprächs,
- setzen das Pflegeplanungsgespräch um,
- dokumentieren die Ergebnisse des durchgeführten Pflegeplanungsgesprächs,
- identifizieren die Bedeutung von Feedback und Evaluation für die weitere Gestaltung und Umsetzung des Pflegeprozesses,
- fühlen sich in die Rolle von Herrn Eppendorf ein, erfahren ein Pflegeplanungsgespräch aus dieser Perspektive und geben Rückmeldung,
- begegnen unterschiedlichen Ausdeutungen derselben Fallsituation und reagieren als Pflegende darauf,
- erfahren zu ihren Planungsüberlegungen und ihrer Gesprächsführung multiperspektivisch Rückmeldungen.
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
... lesen die Kompetenz I.1.e in der Anlage 2 der PflAPrV - "Die Absolventinnen und Absolventen handeln die Pflegeprozess-gestaltung mit den zu pflegenden Menschen […] aus, setzen gesicherte Pflegemaßnahmen ein und evaluieren gemeinsam die Wirksamkeit der Pflege" - überlegen, was unter "aushandeln" zu verstehen ist und wie dieser Anspruch konkret realisiert werden könnte - leiten daraus den nächsten Arbeitsauftrag ab |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch |
2 |
... konzipieren ein Pflegeplanungsgespräch mit Herrn Eppendorf, indem sie sich fragen, wie sie jenem Herrn Eppendorf, den sie sich in Sequenz 4, Schritt 2 und 3, vorgestellt haben, ihre Planungsüberlegungen aus den Schritten 4 bis 7 näher bringen können - Auswahl des Zeitpunktes und der Umgebung, Aufbau des Gesprächs, Formulierung der Gesprächseröffnung, Formulierungs-vorschläge für einzelne Unterpunkte - nutzen dafür ggf. kurze Rollenspielsequenzen in ihrer eigenen Gruppe |
Fortsetzung der Gruppenarbeit aus Sequenz 4 |
3 |
... finden sich mit einer anderen Arbeitsgruppe mit einem anderen Rollenkonzept für Herrn Eppendorf zusammen, erproben/ videographieren jeweils ein Planungsgespräch und geben sich zunächst erste spontane Rückmeldungen aus den verschiedenen Rollenperspektiven |
Schritt 3-6: Zusammenarbeit zwischen zwei Kleingruppen - idealerweise sollten die Gruppenteams durch eine Lernbegleitung/ Lehrperson im Prozess unterstützt und moderiert werden |
4 |
... reflektieren die beiden durchgeführten Rollenspiele hin-sichtlich (1) der Unterschiede im Verständnis der personalen Identität von Herrn Eppendorf, (2) der ausgewählten Problemstellungen, der Problemformulierungen, der Zielsetzungen und der vorgeschlagenen Maßnahmen, (3) des geplanten und durchgeführten Gesprächs |
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5 |
... erproben ggf. Variationen zum Pflegeplanungsgespräch in der Gesprächsführung, wobei die Rolle und Haltung von Herrn Eppendorf eingefroren wird und die Haltung der Pflegenden variiert werden kann |
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6 |
... fassen ihre in diesem Arbeitsprozess gewonnenen Erkenntnisse zur Pflegeplanung und der Umsetzung von Pflegeplanungsgesprächen thesenartig zusammen und wählen geeignete Videosequenzen und Ausschnitte aus den Pflegeplanungen aus, um ihre Thesen zu verdeutlichen |
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Sequenz 6 - Der Pflegeprozess als Instrument im professionellen Problemlösungs- und Beziehungsprozess
3 Std. (davon Kommunikation: 0,5 Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- beschreiben den Pflegeprozess als mehrfach zu durchlaufenden Zyklus, der professionelles pflegerisches Denken und Handeln strukturiert,
- wenden den Pflegeprozess am Beispiel der Pflegesituation von Herrn Eppendorf an,
- beschreiben vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in der Lernsituation die persönlichen Momente, die zum Gelingen von Verständigung zwischen den zu pflegenden Menschen und Pflegefachfrauen/ -männern beitragen sowie solche, die erschwerend und hinderlich wirken,
- reflektieren die Eignung von Theoriemodellen für das praktische Handeln sowie die Anforderungen, die damit an sie als Pflegefachfrauen/ -männer gestellt werden,
- reflektieren Gründe für das aufgedeckte Spannungsfeld zwischen theoretisch begründeten Ansprüchen an professionelles Handeln und der angetroffenen Alltagswelt beruflicher Praxis, in der diese Ansprüche eher weniger realisiert werden (Anschluss an Sequenz 2),
- reflektieren, inwiefern das Arbeiten im Pflegeprozess den Zugang zum anderen Menschen eröffnen oder verstellen kann (Anschluss an Sequenz 1).
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
... ordnen ihre Thesen aus Sequenz 5, Schritt 6, den folgen-den Kategorien zu: (1) "Pflegeprozess als Problemlösungs-prozess" mit den Schritten (a) "Informationssammlung / Assessment" bis (f) "Evaluation" und (2) "Pflegeprozess als Beziehungsprozess" sowie (3) "Sonstiges" |
thematische Zuordnung zu Stellwänden/ Wandzeitungen - hier sollten auch bereits die Problemstellungen und Hypo-thesen aus Sequenz 2, Schritt 4, sowie evtl. entsprechende Kompetenzen aus der PflAPrV Anlage 1 und/ oder Anlage 2 zugeordnet sein |
2 |
... tragen ihre Eindrücke zur Erarbeitung der Pflegeplanung für Herrn Eppendorf und zur Durchführung des Pflegeplanungsgesprächs zusammen |
Kreisgespräch |
3 |
... diskutieren Station für Station entlang der Stellwände die Anforderungen, Probleme und Chancen des Pflegeprozesses und binden dabei exemplarisch Ergebnisse sowie ggf. Videosequenzen zur Veranschaulichung mit ein |
Schritt 3 und 4: Kreisgespräch entlang der Wandtafeln - Lehrer*in moderiert in erster Linie und lenkt die Aufmerksamkeit auf zentrale Problemstellungen |
4 |
... nehmen für die Diskussion der Stellwand "Pflegeprozess als Beziehungsprozess" auch die in Sequenz 1, Schritt 5, an-diskutierte Fragestellung auf und überlegen weiterführend, wie sich im prozessorientierten professionellen Pflegehandeln ein verstehender Zugang zu den zu pflegenden Menschen finden lässt |
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5 |
... leiten aus der Erarbeitung Konsequenzen für ihren Lernprozess im nächsten Praxiseinsatz ab, orientieren sich hierzu an den Empfehlungen im Rahmenausbildungsplan bzw. dem Praxiscurriculum der Schule und bereiten sich auf entsprechende Arbeits- und Lernaufgaben vor bzw. verabreden eine Lern- und Arbeitsaufgabe für ihr Ausbildungsportfolio in der praktischen Ausbildung |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch - mit Textauszügen aus dem Rahmenausbildungsplan/ Praxiscurriculum, Portfolioarbeit |
Hinweise zur Unterrichts-vorbereitung
- Die Erhebung des individuellen Pflegebedarfs sowie der Pflegeprozess bilden für Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner einen zentralen Bezugsrahmen sowohl für die Strukturierung, Organisation und Gestaltung von pflegerischen Problemlösungsprozessen (Kompetenzbereich I der PflAPrV) als auch für den Aufbau von Beziehungs- und Beratungsprozessen (Kompetenzbereich II) - vgl. Vorbehaltene Tätigkeiten nach PflBRefG, § 4.
- Die Kompetenzentwicklung sollte im Ausbildungsverlauf kontinuierlich erfolgen und im Schulteam für den curricularen Aufbau gut abgestimmt werden.
- Im NaKomm wird vorgeschlagen, den Pflegeprozess zunächst an dem 6-stufigen Prozessmodell (Fiechter & Meier, 1998) orientiert einzuführen. Dabei sollte möglichst bereits der Gedanke einer kontinuierlichen Evaluation, den Alfaro-LeFevre (2013) für das 4-stufige Modell entwickelt, integriert werden.
- Wenn diese Grundstruktur auch in der Praxis gut in problemlösendes, handlungs- und beziehungsstrukturierendes Denken integriert werden kann, kann eine Verkürzung auf ein 4-stufiges Modell erfolgen und das "Strukturmodell zur Entbürokratisierung in der Pflegedokumentation" (SIS (R), BMG 2014) eingeführt und diskutiert werden. Dessen ungeachtet, können Materialien zum für die Lernsituationen entwickelten Fall auch mit Hilfe dieses Modells erstellt und eingegeben werden, wenn das Modell in kooperierenden Pflegeeinrichtungen genutzt wird (siehe Sequenz 4).
- Die Integration einer Pflegediagnostik anhand von Pflegeklassifikationssystemen wird in der Konzeption des NaKomm ebenfalls erst im weiteren Ausbildungsverlauf eingeführt, auch wenn pflegediagnostische Begrifflichkeiten ohne den ausdrücklichen Bezug zum Klassifikationssystem durchaus auch zu einem früheren Zeitpunkt in den Unterricht integriert werden - hier z. B. "eingeschränktes Wohlbefinden".
- Schulteams sollten sich insbesondere hinsichtlich der Kompetenzentwicklung zum Pflegeprozess über das angestrebte Ziel und den geplanten didaktisch-methodischen Aufbau verständigen und dabei möglichst auch mit den jeweiligen Praxisfeldern / kooperierenden Betrieben zu einer Abstimmung gelangen. Eine gemeinsame Erarbeitung der hier vorgeschlagenen Lernsituation von Herrn Eppendorf könnte dazu einen guten Einstieg in eine praxisorientierte Teamdiskussion bilden.
- Sequenz 1: Diese Sequenz, die zunächst nicht in einem unmittelbar erkennbaren Zusammenhang mit der Struktur des Pflegeprozesses steht, zielt darauf ab, ressourcen- und beziehungsorientiertes Denken im Sinne des Empowerments und einer aktivierend-rehabilitativen Pflege von Anfang an über einen erfahrungsorientierten Zugang mit zu integrieren. Bei einer stärker formalen Ausrichtung des Unterrichts und zur Komplexitätsreduzierung könnte sie an dieser Stelle entfallen. Dann müssten in Lernsequenz 5 der Schritt 4, Punkt 1, sowie in Lernsequenz 6 ebenfalls der Schritt 4 entsprechend angepasst werden.
- Sequenz 1, Schritt 3: Die methodische Entscheidung ist auch von der Lehrer*innenpersönlichkeit und der Beziehung zur Klasse und unter den Lernenden abhängig - die mit dem Lernangebot verknüpfte Zielsetzung sollte möglichst erfahrungsorientiert und identitätsstützend, aber nicht therapeutisch ausgerichtet sein.
- Sequenz 2, Schritt 1: Rücksprache zu dem im bisherigen Ausbildungsverlauf erarbeiteten Modell des Pflegeprozesses und möglichst auch zu den an den Einsatzorten der Orientierungseinsätze gelebten Umsetzungs- und Dokumentationsformen - Ableitung von Kernbegriffen und Vorstellungen, mit denen die Lernenden bis zu diesem Zeitpunkt vertraut sein müssten.
- Sequenz 4, Schritt 1: Die Materialien zur Situation von Herrn Eppendorf im Anhang können als Anregung für die Zusammenstellung des Arbeitsmaterials dienen, sie müssen ggf. in ihren zeitlichen Zusammenhängen überprüft und aktualisiert werden. Auch sollten sie möglichst in Dokumentationsformate der kooperierenden Einrichtungen übertragen werden, um den Realitätsgrad durch Wiedererkennungseffekte zu erhöhen.
- Sequenz 4, Schritt 1: Ergänzend sollte ein Leittext/ Arbeitsauftrag und entsprechende Arbeitsblätter entwickelt werden, um die Arbeitsgruppenprozesse anzuleiten.
- Sequenz 4, Schritt 2: Der Konstruktionsprozess für das Rollenskript von Herrn Eppendorf sollte entlang der Lücken in der Informationssammlung durch Leitfragen zu seiner Biografie, seinen Ressourcen, Gefühlen und Einstellungen angeregt werden. Dieser Schritt ist gezielt darauf angelegt, dass in den Gruppen unterschiedliche Deutungen entwickelt werden.
- Sequenz 5, Schritt 3-6: Für die Rollenspiele und ihre Auswertung ist, abhängig von den zur Verfügung stehenden Ressourcen der Schule, eine Klassenteilung und Begleitung durch 2 oder 3 Lehrkräfte in separaten, kleineren Klassenräumen hilfreich.
- Sequenz 6: Wenn an dem Unterricht in der Lernsituation mehrere Lehrer*innen beteiligt waren, empfiehlt sich wiederum ein Teamteaching, auf jeden Fall eine gemeinsame Vorbereitung dieser Sequenz, orientiert am Prozessverlauf und den Arbeitsergebnissen.
- Sequenz 6, Schritt 1: Es ist hilfreich, die Stellwände orientiert am bisherigen Erarbeitungsprozess vorzubereiten, um damit eine Struktur für den Diskussions- und Reflektionsprozess in dieser Abschlusssequenz zu generieren. Dabei können gedanklich auch schon jeweils geeignete Beispiele aus den Gruppenprozessen ausgewählt werden, die sich bereits während der Prozessbegleitung herauskristallisiert haben.
Voraussetzungen, Weiterführungen, Alternativen
Voraussetzungen
- In der Lernsituation wird davon ausgegangen, dass die Lernenden bereits erste Praxiserfahrungen in einer Pflegeeinrichtung gesammelt haben, z. B. im Rahmen des Orientierungseinsatzes.
- Weiter wird vorausgesetzt, dass die Grundgedanken des Pflegeprozesses in den Unterrichten des ersten Semesters in einer ersten Annäherung vorgestellt wurden.
- Die Lernsituation knüpft an –> Aufnahmegespräche führen an, eine Lernsituation, die bereits vor dem Orientierungseinsatz geplant werden kann. In diesem Kontext sollte auch eine erste Einführung in die grundlegende Struktur des Pflegeprozesses erfolgt sein.
- Die ABEDL-Struktur (Krohwinkel, 2013) wird als bekannt vorausgesetzt und als Strukturierungsmodell zur Ordnung der Informationssammlung genutzt. Hier wäre allerdings auch ein anderes Modell in Abstimmung mit den Kooperationspartnern der Praxis denkbar.
- Für den Begriff der personalen Identität, der in den Sequenzen 1 und 4 angesprochen wird, um die individuelle Persönlichkeit zu kennzeichnen, kann an ein erstes Begriffsverständnis aus der Lernsituation –> Frau Mauerhoff, Sequenz 5, angeknüpft werden.
Weiterführungen
- Der Pflegeprozess als strukturiertes Modell der Problemlösung zur Organisation und Steuerung pflegerischen Handelns sowie eine prozessorientierte Beziehungsgestaltung stehen im Mittelpunkt zahlreicher Lernsituationen im Ausbildungsverlauf.
- Z. B. wird prozessorientiertes Denken im weiteren Verlauf des 2. Semesters in –> Ingos Tagebuch/ Blog für den klinischen Bereich, in –> Streuzucker und –> Auf der Eltern-Kind-Station für die familienorientierte Pflege und in –> Tourenplanung und Begegnungen von Haus zu Haus für den Bereich der ambulanten Pflege aufgenommen.
- Methodisch wird das Vorgehen der Entwicklung von Lernfragen zur Fallbearbeitung nach dem 7-Sprung in Anlehnung an das Problemorientierte Lernen (POL) z. B. wieder aufgenommen in –>Streuzucker (vgl. zum methodischen Vorgehen z. B. Darmann-Finck / Boonen 2008; Darmann 2004; Schwarz-Govaers 2003).
Anhang
Entwicklung
- Die Fallsituation mit den zugehörigen Dokumenten wurde von Nils Nehrke im Rahmen eines Orientierungspraktikums zum Lehramtsstudiengang an der Universität Bremen entwickelt und durch das Projektteam für das "Nationale Mustercurriculum für die Kommunikative Kompetenz in der Pflege" (NaKomm) weiter ausgearbeitet.
Dokumente
Literatur
- Alfaro-LeFevre, R.; Herrmann, M.; Müller Staub, M. (2013): Pflegeprozess und kritisches Denken. Praxishandbuch zum kritischen Denken, Lösen von Problemen und Fördern von Entwicklungsmöglichkeiten. Bern: Hans Huber.
- Darmann-Finck, I.; Boonen, A. (Hrsg.) (2008): Problemorientiertes Lernen auf dem Prüfstand. Erfahrungen und Ergebnisse aus Modellprojekten. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft.
- Darmann, I. (2004): Problemorientiertes Lernen – Transfer durch die Erweiterung von Situationsdeutungen. In: PrInterNet, (9), 461 – 467.
- Dorschner, S.; Meussling-Sentpali, A.; Schaerfer, I. (2009): „Wir tun unser Bestes …“ – Pflegeprozess und Pflegequalität im subjektiven Erleben beruflich Pflegender. In: Stemmer, R. (Hrsg.), a. a. O. 29-55.
- Eremit, B.; Weber, K. (2016): Individuelle Persönlichkeitsentwicklung: Growing by Transformation. Darin: Kapitel 8 – Die fünf Säulen der Identität. Wiesbaden: VS, 47 – 52.
- Fiechter, V.; Meier, M. (1998). Pflegeplanung. Eine Anleitung für die Praxis. Kassel: Recom.
- Herriger, N. (2014): Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. 5. aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer.
- Krohwinkel, M. (2013): Fördernde Prozesspflege mit integrierten ABEDLs. Forschung, Theorie und Praxis. Bern: Hans Huber.
- Petzold, H. G. (Hrsg.) (2012): Identität. Ein Kernthema moderner Psychotherapie – Interdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden: VS.
- Petzold, H. G. (2012): Transversale Identität und Identitätsarbeit – Die Integrative Identitätstheorie als Grundlage für eine entwicklungspsychologisch und sozialisationstheoretisch begründete Persönlichkeitstheorie und Psychotherapie – Perspektiven „klinischer Sozialpsychologie“. In: ders. (Hrsg.), a. a. O., 407-603.
- Schwarz-Govaers, R. (2003): Problemorientiertes Lernen – neuer Wein in alten Schläuchen oder eher alter Wein in neuen Schläuchen? In: PrInterNet, (03), 36 – 45.
- Stemmer, R. (Hrsg.) (2009): Qualität in der Pflege – trotz knapper Ressourcen. Mainz: Mainzer Schriften.
- Stefanoni, S.; Alig, B. ( 2009): Pflegekommunikation. Gespräche im Pflegeprozess. Bern: Hans Huber, Kindle-Version.