Das kann ja Stunden dauern
Anamnesegespräch in der häuslichen Pflege mit einem alleinstehenden Mann, der aus dem türkischen Kulturkreis stammt und nur über geringe Deutschkenntnisse verfügt
Der Fall
Auf dem Weg zu Herrn Abakay. Er ist 81 Jahre alt und vor 23 Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Früher hat er in Izmir an einer Universität als Lehrer gearbeitet. Nachdem er nach Deutschland kam, war er für die städtische Reinigung tätig. Vor drei Jahren verlor er seine Frau bei einem Autounfall und lebt seitdem allein in der 2-Zimmer Altbauwohnung. Vor 6 Wochen wurde Herr Abakay von Nachbarn aufgrund seiner lauten Rufe auf dem Boden liegend vorgefunden. Herr Abakay ist Sozialhilfeempfänger und Fr. Behrmann seine Ansprechpartnerin beim Träger für Sozialhilfe. Sie erfuhr erst bei einem Hausbesuch von dem Nachbarn, dass es Schwierigkeiten mit Herrn Abakay gibt und er wohl gestürzt sei. Daraufhin informierte sie uns von der Diakoniestation.
Als ich das erste Mal zu Herrn Abakay kam, stand ein abgemagerter Mann mit tiefen Augenrändern und gebeugtem Oberkörper vor mir. Er schimpfte irgendetwas leise in seiner Muttersprache vor sich hin. Ich stand verunsichert im Flur und wusste nicht, wie ich ihn ansprechen sollte. Er ließ mich stehen und ging, das linke Bein nach sich ziehend, vom Flur Richtung Wohnzimmer. Langsam und vorsichtig ging ich ihm hinterher. Er setzte sich auf die Ecke seines Sofas, blickte zu Boden und schwieg. In der Tür stehend sprach ich ihn mit seinem Namen an und stellte mich vor. Er blickte mich mit großen Augen an, ohne dabei die Miene zu verziehen. Als ich ihn fragte, wie es ihm geht, senkte er den Kopf und meinte „gut“. Ich wusste nicht, wie ich das Gespräch anfangen sollte, und stand einfach da. Durch meinen Kopf rannte der Rest der Tour und ich suchte verzweifelt den Blick auf die Uhr. Eigentlich war ich zu Herrn Abakay gekommen um die Erstanamnese vorzunehmen, aber das könnte ja Stunden dauern. Ich fragte ihn, ob ich etwas für ihn tun könnte und er antwortete „Lütfen zahmet etmeyin!“ „Wie bitte?“ Er wiederholte leise den Satz und bewegte verneinend den Kopf. „Ok, Herr Abakay, dann komme ich morgen zur gleichen Zeit wieder und möchte dann das Aufnahmegespräch mit Ihnen führen.“ Er nickte. Ich verabschiedete mich zaghaft und zog mich im Rückwärtsgang zurück, schloss die Tür und eilte die Treppe zum Auto hinunter …
Situations-merkmale
Zielgruppe
- ältere Menschen (ab 70 Jahre)
- Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen
Pflegeanlass
- Unselbstständigkeit in der Selbstversorgung
- Einschränkung in der Kommunikation
- psychische Problemlage
Lernsequenzen
Sequenz 1 - Wenn mir das passieren würde
1 Std. (davon Kommunikation: - Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- verständigen sich über ihre Erfahrungen in der häuslichen Pflege und berichten von pflegerischen Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturkreisen - identifizieren Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur vorliegenden Fallsituation,
- artikulieren ihre persönlichen Erfahrungen, Einstellungen, Meinungen und Vorurteile gegenüber Menschen aus anderen Kulturen - insbesondere aus dem türkischen Kulturkreis,
- verständigen sich insbesondere über das Gefühl der Einsamkeit in schwierigen pflegerischen Entscheidungen, die im Kontext der häuslichen Pflege getroffen werden müssen,
- tauschen sich über erlebte Hilflosigkeit in Situationen mit geringer Verständigungsbasis aus,
- verständigen sich über Empfindungen und Reaktionen auf Stress und das Erleben „die Zeit im Nacken“ zu haben und sammeln Strategien, die sie hierzu inzwischen entwickelt haben.
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
... hören die Schilderung der Situation und sind dabei aufgefordert, sich die Ereignisse aus der Perspektive der / des Erzählenden vorzustellen |
ggf. Tonaufnahme oder mündlicher Vortrag durch die Lehrperson |
2 |
... äußern spontan und möglichst ungefiltert, was ihnen durch den Kopf geht |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch, Äußerungen werden notiert und ggf. durch verschiedene kontroverse und provozierende Zitate aus der aktuellen Integrationsdebatte ergänzt |
3 |
... lesen die Szene nochmal und stellen sie im Kurs als Standbild nach |
Standbild bauen - Lehrer*in fungiert als Spielleiter*in und regt dazu an, unterschiedliche Vorstellungsbilder zu inszenieren ("in Bildern zu diskutieren") und sich erst abschließend auf eines zu verständigen |
4 |
... treten hinter die beiden Figuren und sagen ihnen von außen in einem Stimmentheater die zuvor gesammelten Sätze und Zitate ein (Sätze werden mit unterschiedlichen Betonungen/ Intonierungen mehrfach wiederholt) |
Stimme(n) geben - Lehrer*in fungiert als Spielleiter*in und ermutigt, "im Spiel" auch kontroverse und mit den eigenen Normen und Werten nicht vereinbare Gedanken und Äußerungen zunächst zuzulassen |
5 |
... geben aus unterschiedlichen Perspektiven Rückmeldungen: (1) die beiden Personen aus dem Standbild aus der Perspektive der Figuren, (2) die "Einsager" über die Gefühle, die der von ihnen gesprochene Satz und der Sprechgestus in ihnen auslöst, (3) die Beobachter aus der Außenwahrnehmung |
Moderationskarten, - Emotionen werden notiert - in Clustern geordnet |
6 |
... sammeln in einem reflexiven Gespräch - gleichsam aus einer übergeordneten, am Erkenntnisgewinn interessierten Perspektive - zu den Sätzen, den erfahrenen Emotionen und der geschilderten Fallsituation Lernfragen, die sie im Zuge der Bearbeitung des Falls klären möchten |
Kleingruppenarbeit (6 Neigungsgruppen oder Zufallsteams, sollten für die Dauer der Lernsituation bestehen bleiben) - Lernfragen auf Karten notieren |
7 |
... ordnen ihre Lernfragen den vorgeschlagenen Lernsequenzen zu |
Plenumsdiskussion um die geplante Übersicht der Lernsituation an einer Metaplanwand |
Sequenz 2 - Türkische Migrant*innen in Deutschland - Entwicklung einer möglichen Lebensgeschichte von Herrn Abakay
5 Std. (davon Kommunikation: - Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- erkunden die Lebenssituation von Menschen in der Türkei und identifizieren Gründe für deren Migration nach Deutschland in verschiedenen Zeiträumen seit 1960,
- recherchieren ergänzend Zahlen und Fakten zur Migration in die Bundesrepublik (mit exemplarischem Schwerpunkt auf Migration aus der Türkei),
- erkunden und vergleichen die Arbeits- und Einkommenssituation in der Türkei und in Deutschland,
- erkunden die Lebenssituation von Migrant*innen (insbesondere von türkischstämmigen Menschen) in Deutschland und berücksichtigen dabei die unterschiedlichen Zeitpunkte des Zuzugs,
- wenden ihre Kenntnisse zu Niedergeschlagenheit und Depression fallbezogen an, z. B. --> Wie ein schwerer Kartoffelsack,
- tragen pflege-/ gesundheitswissenschaftliche Erkenntnisse zu Migration und Pflegebedürftigkeit zusammen,
- systematisieren ihr Wissen zu den staatlichen Sozialleistungen fallbezogen ("Wer finanziert was?"),
- entwickeln vor dem Hintergrund ihrer Recherche mögliche Gründe für die Migration von Herrn Abakay nach Deutschland,
- konstruieren vor dem Hintergrund ihrer Recherche seine Lebenssituation in Deutschland (biografische Eckdaten/ mögliche Erfahrungen und Wahrnehmungen/ mögliche Wünsche und Perspektiven/ mögliche Gründe für die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache/ mögliche Gründe für die beobachtbare Niedergeschlagenheit),
- reflektieren das aktuelle persönliche Erleben innerer Widersprüche von Menschen wie Herrn Abakay, z. B. Erleben von Hilfsbedürftigkeit und Ohnmacht versus Stolz und Wunsch nach Bewahrung der kulturellen Identität,
- reflektieren mögliche, biografisch geprägte Spannungsfelder im Zuge von Migration, z. B. der Wunsch, "in der Ferne das Glück zu suchen" versus Bindung an "Heimat" und "kulturelle Wurzeln".
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
... recherchieren und erarbeiten sich Wissen und Strukturdaten zur Situation türkischer Migrant*innen in Deutschland, wie z. B. Geschichte der Migration, aktuelle Statistiken und Migrationsentwicklungen - auch in Bezug auf Sozialhilfebedarf und Pflegebedürftigkeit |
Kleingruppenarbeit (vgl. Schritt 2-4), ggf. auch Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräche zur schnellen Bündelung von Fakten |
2 |
... erarbeiten in ihren Gruppen jeweils eine mögliche, realistische Lebensgeschichte von Herrn Abakay, indem sie die vorgegebenen Informationen aus dem Fall durch weitere denkbare Informationen ergänzen |
Schritt 2-5: Kleingruppenarbeit (Aufnahme der in Sequenz 1 gebildeten Gruppen) - die Konstruktion sollte durch Leitfragen der Lehrperson gestützt werden <- Leitfragen sollten den Blick weiten und möglichst viele Facetten in den Blick nehmen, die bei einem Menschen aus einem anderen Kulturkreis im eigenen Lebensumfeld berücksichtigt werden könnten |
3 |
... informieren sich für diese Erarbeitung durch Internetrecherche und persönliche Befragungen über die Lebenssituation von türkischstämmigen Migrant*innen im Alter von Herrn Abakay
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4 |
… entwickeln vor diesem Hintergrund schlüssige Hypothesen, die erklären könnten, warum Herr Abakay (aktuell) niedergeschlagen bzw. bedrückt wirkt |
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5 |
... konstruieren aus diesen Vorarbeiten eine Biografie und Krankengeschichte (orientiert an den Leitfragen) und schreiben sie in ich-Form auf |
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Sequenz 3 - Anamnesegespräche und Verständigung in der ambulanten Pflege mit Menschen aus anderen Ländern/ mit eingeschränkten Deutschkenntnissen
5 Std. (davon Kommunikation: 5 Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- erarbeiten die Besonderheiten von Anamnesegesprächen in der häuslichen Pflege (Ziele, Inhalte, Vorgehen, Formblätter),
- erläutern Prinzipien der Gesprächsführung mit Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen - Wahrnehmung von und Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen,
- informieren sich zu kommunikativen Möglichkeiten der Überwindung von ausgeprägten Sprachbarrieren.
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
... erarbeiten sich vor dem Hintergrund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen zur Struktur und Finanzierung der häuslichen Pflege die Ziele für ein Anamnesegespräch in diesem Setting |
Kleingruppenarbeit
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2 |
... formulieren die zu erhebenden Inhalte und entsprechende Fragen |
Kleingruppenarbeit
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3 |
... vergleichen ihre Ergebnisse mit Beispielen von Anamnesebögen aus verschiedenen Pflegeeinrichtungen, prüfen diese kritisch in Bezug auf die zuvor überlegten Zielsetzungen und ergänzen ihren Fragenkatalog, wenn erforderlich |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch |
4 |
… formulieren vor dem Hintergrund ihres eigenen Vorverständnisses erste Ziele für eine kultur- und differenzsensible Kommunikation mit Herrn Abakay bzw. leiten aus einem vorangegangenen Unterricht zu den Theorien und Modellen kultur- und differenzsensibler Pflege Ziele einer kultur- und differenzsensiblen Kommunikation ab |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch |
5 |
... kennen konkrete Angebote und Hilfsinstrumente für die sprachliche Verständigung mit Menschen aus anderen Kulturen und mit eingeschränkten Deutschkenntnissen |
Lehrer*invortrag, ggf. Expert*innenvortrag aus einem deutsch-türkischen Pflegedienst |
6 |
… rekonstruieren ihre Kenntnisse und ihre Erfahrungen in der Gestaltung der pflegerischen Interaktion mit Menschen, die schwermütig sind, sich in einem Stimmungstief/ einer depressiven Episode befinden oder auch an einer Depression leiden, z. B. im Rückgriff auf --> Wie ein schwerer Kartoffelsack, um diesen Aspekt in die Vorbereitung des Anamnesegesprächs zu integrieren |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch oder ergänzender Auftrag in der anschließenden Kleingruppenarbeit |
7 |
... entwickeln ein Konzept für das Vorgehen im Anamnesegespräch mit Herrn Abakay für den Folgetag nach der ersten Begegnung |
Fortsetzung der Kleingruppenarbeit |
Sequenz 4 - Anamnesegespräch mit Herrn Abakay
3 Std. (davon Kommunikation: 3 Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- wenden zuvor entwickelte Ansatzpunkte für ein Anamnesegespräch an und reflektieren die Anwendung unter Bezugnahme auf eine vorgegebene Struktur,
- entwickeln Ansatzpunkte für ein gelingendes Anamnesegespräch in der geschilderten Situation und beachten hierfür die Gestaltung der Rahmenbedingungen, die Entwicklung einer geeigneten inneren Haltung sowie mögliche Kommunikationsangebote, die auf Verständigung zielen,
- reflektieren den Widerspruch zwischen dem Anspruch, dem anderen vorurteilsfrei und offen zu begegnen, und dem inneren Erleben von Abwehr und Distanzierung.
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
... führen wechselseitig Anamnesegespräche zu den fiktiven Lebensgeschichten/ Rolleneinfühlungen von Herrn Abakay und reflektieren ihre Gespräche jeweils im Anschluss |
Schritt 1-4: Rollenspiel mit anschließender Reflexion -> Aufteilung der Klasse in zwei Großgruppen aus jeweils drei Arbeitsgruppen, die Gruppen arbeiten selbstorganisiert bzw. von jeweils einer Lehrperson begleitet (ggf. Teamteaching), bei ausreichenden Räumlichkeiten besteht auch die Möglichkeit der Triadenarbeit |
2 |
... (eine Lernende/ ein Lernender) denkt/ fühlt sich jeweils in die fiktive, in Sequenz 2 erarbeitete Rollenbiografie einer anderen Gruppe ein |
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3 |
... (eine Lernende/ ein Lernender), der/ dem die Biografie nicht bekannt ist, führt das Anamnesegespräch anhand des zuvor in Sequenz 3 entwickelten Konzepts |
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4 |
... reflektieren das durchgeführte Gespräch jeweils im Anschluss aus den unterschiedlichen Perspektiven (Pflegende - Herr Abakay - Beobachter*in): Wie ist der Kontakt gelungen? Wie ist Verständigung erfolgt? Wie wurden Inhalte der fiktiven Biografie deutlich? Wie sind die Informationen für die Planung des Pflegeprozesses nutzbar? Wie hoch ist der Realitätsgrad der fiktiven Biografie? |
Reflektion des Rollenspiels anhand einer vorgegebenen Struktur |
5 |
... verständigen sich nach der Durchführung aller drei Durchläufe darüber, welche der erarbeiteten Strategien sich in der Fallsituation als hilfreich erwiesen haben und dokumentieren diese Erkenntnisse |
Gruppenarbeit |
Sequenz 5 - Migration - Eine professionelle Herausforderung für Pflegende
4 Std. (davon Kommunikation: - Std.)
didaktisch inhaltliche Zuordnung
Die Lernenden...
- erläutern theoretische Erklärungsansätze für die Entstehung von Vorurteilen und Ansatzpunkte, diesen zu begegnen,
- erklären Migration als historisches Phänomen und gegenwärtige Herausforderung der westlichen Industrienationen,
- beschreiben Angebote und Angebotsdefizite in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung von Migrant*innen (Fokus: Mitbürger*innen mit türkischen Wurzeln),
- entwickeln geeignete strukturelle Angebote für pflegebedürftige Migrant*innen mit türkischen Wurzeln (weiter),
- erfassen Fakten und Positionen zur Integrationsdebatte in Deutschland,
- verstehen die jeweiligen Gründe und persönlichen Sichtweisen für die Entwicklung unterschiedlicher Positionen in der Integrationsdebatte,
- reflektieren das Spannungsfeld zwischen Integration und Ausgrenzung,
- reflektieren vor dem Hintergrund des Einzelfalls den Widerspruch zwischen Integration und Abgrenzung in der Begegnung zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen,
- diskutieren und erkennen konfligierende Ansprüche und Haltungen an, wie z. B. die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme für unterschiedliche Menschen in der Gesellschaft und die einer besonderen Bindung an die Mitglieder der eigenen Kultur,
- reflektieren Grundpositionen zwischen multikulturellen, interkulturellen und transkulturellen Konzepten im Umgang mit Migration bzw. im Rahmen von kultur- und differenzsensibler Pflege.
didaktisch methodischer Verlauf
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Die Lernenden... |
Methodik
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1 |
... veröffentlichen ihre in Sequenz 4 gewonnenen Erkenntnisse im Plenum |
Präsentation |
2 |
… vergleichen die in Sequenz 2 entwickelten, fiktiven Biografien von Herrn Abakay und die jeweils unterstellte Deutung seiner Migrationserfahrung und lesen/ hören dazu unterschiedliche Positionen, Erfahrungen und Meinungen von Menschen, die bis zum Ende des letzten Jahrtausends nach Deutschland migriert sind, zu ihrer Integration in das für sie fremde Land |
Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch zur Entwicklung einer vergleichenden Übersicht von Grundeinstellungen zur Integrationsdebatte |
3 |
… unterscheiden darauf bezogen Grundpositionen kultur- und differenzsensibler Pflege zwischen multikulturellen, interkulturellen und transkulturellen Positionen |
ergänzende Textarbeit |
4 |
... werden erneut mit den eigenen und fremden Aussagen und Zitaten aus der Sequenz 1 zur Begegnung mit "den Fremden" konfrontiert und überlegen sich vor dem Hintergrund ihrer in den Erarbeitungen der Lernsituation gewonnenen Erkenntnisse, inwiefern sich professionell Pflegende mit Konzepten kultur- und differenzsensibler Pflege und der "Integrationsdebatte" auseinandersetzen müssen |
Vorbereitung der Diskussion in Partner*innenarbeit |
5 |
... führen ausgehend von ihren Überlegungen eine Pro-Contra-Diskussion durch |
pro-contra-Diskussion, auch als Fish-Bowl-Methode möglich |
6 |
... fassen abschließend ihre Überlegungen - auch kontrastiv - thesenartig auf einer Wandzeitung zusammen und formulieren gegebenenfalls ergänzend Regeln und Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit die unter Umständen zu Tage getretenen differierenden Positionen und Einschätzungen akzeptiert nebeneinander bestehen bleiben können |
Wandzeitung, in der eine Form gefunden wird, Meinungsdifferenzen ohne Verletzungen und Grabenkämpfe darzustellen |
Hinweise zur Unterrichts-vorbereitung
- Für Sequenz 1 sollte ein Raum genutzt werden, der genügend Platz bietet, das Standbild zu bauen und sich dazu zu positionieren.
- Für Sequenz 1 sollten ebenfalls unterschiedliche (kontrastierende) Zitate aus der aktuellen Integrationsdebatte vorbereitet werden, die im Lehrer*innen-Schüler*innen-Gespräch eingebracht werden können.
- In Sequenz 2 sollten für den Rechercheauftrag bestimmte Quellen bereits vorgegeben werden. Alternativ können die ersten Rechercheschritte eng betreut werden bzw. die Recherche kann in enger Absprache erfolgen.
- In Sequenz 3 kann eine Expertin/ ein Experte aus einem deutsch-türkischen ambulanten Pflegedienst eingeladen werden, um verschiedene Konzepte mit den Lernenden zu besprechen.
- Für die Durchführungen der Anamnesegespräche in Sequenz 4 sollten, wenn möglich, verschiedene Arbeitsgruppenräume eingeplant werden. Zusätzlich sollte diese Sequenz möglichst im Teamteaching durchgeführt werden, um die Lernenden in den Situationen eng betreuen zu können.
Voraussetzungen, Weiterführungen, Alternativen
Voraussetzungen
- Im NaKomm sind einführende Lernsituationen vorgeschaltet, die sich mit den Abläufen, Strukturen und Herausforderungen in der ambulanten Pflege auseinandersetzen, z.B. –> In fremden Haushalten, –> Tourenplanung und Begegnungen von Haus zu Haus.
- Im NaKomm erfolgt ein Einstieg in das Thema kultur- und differenzsensible Pflege in –> Berührung – Interaktion in der körpernahen Versorgung, Aspekte von Diversität werden bis zu diesem Ausbildungszeitpunkt vor allem im Hinblick auf zu pflegende Menschen aus anderen Generationen, unter Berücksichtigung von biographischen, kulturellen und zeitgeschichtlichen Hintergründen thematisiert, z. B. in –> Lern- und Lebensgeschichten, –> Henriette Schulz, –> Biografiearbeit in der Langzeitpflege, differierende, gesellschaftlich geprägte Familienleitbilder und deren Ursprünge werden in–> Familie als System verstehen betrachtet.
- Die Lernenden sollten über grundlegende Kenntnisse und Kompetenzen im Führen eines Aufnahmegesprächs verfügen, z. B. durch –> Aufnahmegespräche führen und –> Ingos Tagebuch/ Blog, und möglichst auch Erfahrungen aus dem Praxisfeld mitbringen.
- Einsamkeit von zu pflegenden Menschen wird bereits in –> Tourenplanung und Begegnungen von Haus zu Haus thematisiert. Daran kann in dieser Lernsituation angeknüpft werden.
- Weiter wird mit dieser Lernsituation die Thematik der Schwermütigkeit bzw. das Durchleben einer depressiven Episode aus –> Wie ein schwerer Kartoffelsack aufgegriffen.
Parallelen
- Dieser Lernsituation kann ein Lernangebot vorgeschaltet werden, das sich mit Theorien und Modellen einer kultur- und differenzsensiblen Pflege auseinandersetzt – dieses kann ebenso vor dem Hintergrund der Diskussion in Sequenz 5 nachgeschaltet werden. Entsprechend müssen die Zielsetzungen für die Gestaltung der Kommunikation mit Herrn Abakay in Sequenz 3, Schritt 4, eher induktiv aus dem Vorverständnis heraus oder deduktiv aus bereits bekannten Konzepten abgeleitet werden.
- In –> Streuzucker werden Aspekte von Interkulturalität bzw. Transkulturalität in der pflegerischen Beziehungsgestaltung mit der Versorgung eines Säuglings und der Interaktion mit einer Familie, die aus dem arabisch-muslimischen Kulturkreis stammt, aufgenommen.
Anhang
Entwicklung
- Die Lernsituation wurde ursprünglich in Kooperation mit dem IBAF gemeinsam mit Silke Taubenheim und Sylvia Tonding entwickelt und im Rahmen des "Nationalen Mustercurriculum für die Kommunikative Kompetenz in der Pflege" (NaKomm) durch das Projektteam weiter ausdifferenziert.
- Die Fallsituation wurde vom IBAF in einem Telefongespräch mit einem kooperierenden Pflegedienst erhoben und anschließend niedergeschrieben und ausformuliert.
Literatur
- Baric-Büdel, D. (2011): Anforderungen an eine kultursensible häusliche Pflege. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, (3), 82-86.
-
Bose, A. von; Terpstra, J. (2012): Muslimische Patienten pflegen: Praxisbuch für Betreuung und Kommunikation. Berlin: Springer.
- Bose, A. von, Terpstra, J. (2012): Verstehen heißt „verstehen wollen “. ProCare, 17 (10), 24-28.
- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2012): Pflegebedürftigkeit und Nachfrage nach Pflegeleistungen von Migrantinnen und Migranten im demographischen Wandel. Nürnberg.
- Dörge, Ch.; Lautenschläger, S. (2015): Wenn Migranten professionelle Pflege brauchen – Herausforderungen einer kultursensiblen Versorgung aus Sicht der Pflegeleistungserbringer. Das Gesundheitswesen, 77 (08/09).
-
Prömper, H. (Hrsg.) (2010): Was macht Migration mit Männlichkeit? Kontexte und Erfahrungen zur Bildung und sozialen Arbeit mit Migranten. Opladen: Budrich.
- Keppler, M. (2014): Nutzung der Altenpflegeeinrichtungen in Baden-Württemberg von älteren Migranten 2014. Online Befragung in allen Einrichtungen von Baden-Württemberg. Unveröffentlichte Diplomarbeit.
- Kolleck, B. (2007): Kultursensible Pflege in ambulanten Pflegediensten, In: Pflege & Gesellschaft, 12 (3), 263-277.
- Löser, A. P. (2008): Pflegekonzepte in der stationären Altenpflege. Leicht und sicher selbst erstellen. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft.
- Messer, M. (2010): Kultursensibel pflegen. In: Pflegezeitschrift, 63 (12), 758- 759.
- Schilder, M. (2012). Interkulturelle Öffnung in der ambulanten und stationären Altenpflege/-hilfe. In: Griese, Ch.; Marburger, H. (Hrsg.): Interkulturelle Öffnung. Ein Lehrbuch. München: Oldenbourg, 201-224.
- Schouler-Ocak, M. (2018): Psychische Gesundheit bei Migranten. In: Brähler, E.; Herzog, W.: Sozialpsychosomatik. Das vergessene Soziale in der Psychosomatischen Medizin. Stuttgart: Schattauer, 208-218.
- Treibel, A. (2008): Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht, Weinheim: Juventa.
- Ulusoy, N.; Gräßel, E. (2010): Türkische Migranten in Deutschland. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 43 (5), 330-338.
- Uzarewicz, C. (2002): Sensibilisierung für die Bedeutung von Kultur und Migration in der Altenpflege. Kurzbeschreibung. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung. Online: https://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2002/uzarewicz02_01.pdf (19. Nov. 2018).
- Zanier, G.; Motallebi, S. (2013): Empfehlungskatalog für eine kultursensible Pflege. Ludwigshafen. Online: http://www.kultursensible-altenhilfe.de/news/detail/empfehlungskatalog-kultursensible-pflege.html (19. Nov. 2018 ).