Partnerschaftliche Entscheidungsfindung (1/ 2)

Die Rolle der Pflege in der Entscheidungsfindung zwischen Patient*in und Ärztin/ Arzt

Gliederung

Der Fall

„Und wer soll das jetzt entscheiden?“        – in Anlehnung an Klemperer 2014

Gestern kam Herr Garz (67 Jahre alt) wieder auf unsere Station. Er kam mir gleich wieder bekannt vor. Vor etwa drei Monaten hatte er einen Herzinfarkt und lag deswegen bei uns. Den hatte er ohne große Komplikationen gut überstanden. Diesmal ist er bei uns auf der Station, weil er im Alltag beim Treppensteigen oder schwer Tragen ein Druck- und Engegefühl im Brustkorb verspürt. Dies konn-te auch von den Ärzt*innen durch das Belastungs-EKG bestätigt werden. Durch das EKG konnten dann auch Hinweise auf Durchblu-tungsstörungen aufgezeigt werden. Unsere Stationsärztin Frau Kraimer stellte bei der Herzkatheteruntersuchung eine höhergradige Verengung eines Herzkrankgefäßes fest.
Die Diagnose lautet: Angina pectoris bei stabiler, koronarer Herzkrankheit. Heute bei der ärztlichen Visite schaute mich Herr Garz an und meinte: „Eigentlich möchte ich doch nur, wie die meisten Menschen, möglichst lange gut leben.“ Unsere Stationsärztin meinte darauf: „Grundsätzlich gäbe es jetzt zwei Behandlungsmöglichkeiten: Mit einer ‚optimalen medikamentösen Therapie‘ würden wir die Beschwerden sowie das Risiko für weitere Infarkte mindern und die Lebenszeit verlängern. Die Behandlung besteht in der Ein-nahme von bestimmten Medikamenten (Acetylsalicylsäure, Betablocker, ACE-Hemmer und Lipidsenker). Zweitens könnten wir zu-sätzlich zur optimalen medikamentösen Therapie die Engstelle mit einem Ballonkatheter aufweiten und durch eine Gefäßprothese (Stent) stabilisieren. Im Vergleich zur alleinigen medikamentösen Behandlung können wir dadurch das Engegefühl in der Brust zusätzlich verbessern, die Lebenserwartung verlängern. Jedoch bleiben die Risiken für künftige Herzinfarkte gleich.“

Als die Visite sein Zimmer verlässt, hält mich Herr Garz an der Hand zaghaft fest und fragt: „Und wer soll das jetzt entscheiden?“

Situations-merkmale

Zielgruppe

  • Menschen im Erwerbsalter (30 – 69 Jahre)
  • ältere Menschen (ab 70 Jahre)

Setting

  • Akutklinik

Pflegeanlass

  • Unterstützungsbedarf in der Lebensgestaltung / sozialen Teilhabe
  • Erkrankung Herz-Kreislaufsystem / Atmung

Lernsequenzen

Sequenz 1 - Entscheidungen im pflegerischen und medizinischen Alltag

1 Std. (davon Kommunikation: 0 Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • erklären den Begriff Entscheidung,
  • nennen Entscheidungen, die Pflegekräfte im Berufsalltag treffen müssen/ sollen,
  • nennen Entscheidungen, die Patient*innen im Krankenhaus oder in der Langzeitpflege treffen müssen und diskutieren deren Bedeutung,
  • verständigen sich über die Bedeutung der Schwere unterschiedlicher Entscheidungen aus unterschiedlichen Perspektiven.

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... erklären den Begriff Entscheidung, beziehen ihn auf diverse Alltagssituationen und benennen die Bedeutung von Entscheidungsfindung in der Pflege Schritt 1-5: Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
2 ... erweitern die Perspektive um Situationen, in denen Pflege-kräfte Entscheidungen im Berufsalltag treffen müssen/ sollen Moderationskartenabfrage
3 ... bewerten die genannten Situationen nach der Schwere der Entscheidungsfindung
4 ... erweitern die Perspektive um Situationen, in denen die Patient*innen Entscheidungen treffen müssen/ sollen, sowohl auf das Krankenhaus als auch auf die Langzeitpflege bezogen und ordnen auch diese Situationen wiederum hinsichtlich der Schwere der Entscheidungsfindung
5 ... begründen ihre Entscheidung und identifizieren Faktoren, die den Schweregrad einer Entscheidung in medizinisch-pflegerischen Handlungsfeldern beeinflussen

Sequenz 2 - Die partnerschaftliche Entscheidungsfindung

2 Std. (davon Kommunikation: 2 Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • nennen Definitionen und Charakteristika der drei Modelle der Ärztin-/ Arzt-Patient*in-Beziehung,
  • wenden die drei Modelle der Ärztin-/ Arzt-Patient*in-Beziehung fallbezogen an,
  • nennen die Phasen des Shared-Decision-Making/ der partnerschaftlichen Entscheidungsfindung,
  • wenden die Phasen des Shared-Decision-Making/ der partnerschaftlichen Entscheidungsfindung fallbezogen an,
  • verständigen sich über die Vor-und Nachteile der Modelle für den Patienten.

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... lesen das Fallbeispiel, klären Verständnisfragen und mit Hilfe ihres Vorwissens die medizinischen Zusammenhänge, die für das Verständnis der Situation im Fall bedeutsam sind Textarbeit -> Partner*innenarbeit -> Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
2 ... diskutieren im Plenum die mögliche Entscheidung des Patienten Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch/ gelenkte Diskussion
3 ... lesen die Definitionen und Charakteristika der drei Modelle der Ärztin-/ Arzt-Patient*in-Beziehung (stellen ggf. Verständnisfragen) Einzelarbeit -> Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
4 ... beziehen die drei Modelle auf den konkreten Fall, spielen fiktive Szenarien gedanklich durch und diskutieren die möglichen Vor- und Nachteile für den Patienten Partner*innenarbeit -> Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
5 ... lernen die Phasen des Shared-Decision-Making kennen und beziehen diese auf die Situation Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch

Sequenz 3 - Die Rolle der Pflegekraft in der partnerschaftlichen Entscheidungsfindung zwischen Ärztin/ Arzt und Patient*in

1 Std. (davon Kommunikation: 1 Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • verständigen sich über ihre Rollenoptionen, die sie als Pflegekraft in Prozessen der Entscheidungsfindung zwischen Ärztin/ Arzt und Patient*in einnehmen können,
  • verständigen sich über die Grenzen der Rolle der Pflegekraft in der Entscheidungsfindung zwischen Ärztin / Arzt und Patient*in.

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... sammeln - ausgehend von der Fallsituation - verschiedene Möglichkeiten zu der Rolle, die sie als Pflegekraft in der Entscheidungsfindung zwischen Ärztin/ Arzt und Patient einnehmen können Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch, Arbeit mit Moderationskarten
2 ... identifizieren verschiedene Grenzen, an die sie als Pflegekraft in der Begleitung der klinischen Entscheidungsfindung von zu pflegenden Menschen stoßen und diskutieren die Gründe sowie Möglichkeiten und Erfordernisse für Veränderungen Lehrer*in-Schüler*innengespräch/ gelenkte Diskussion -> Visualisierung mit Hilfe der Moderationskarten
3 ... formulieren ein gemeinsames Resümee mit Ausblick auf sich anschließende Praxiseinsätze und auf die sich zu einem späteren Zeitpunkt anschließende, vertiefende Lernsituation gelenkte Diskussion, ggf. Verabredung eines Praxisauftrags zur Beobachtung und Sammlung von Situationen, in denen zu pflegende Menschen in verschiedenen Versorgungsbereichen Entscheidungen treffen müssen, Information zur curricularen Verortung der --> Partnerschaftliche Entscheidungsfindung (2/ 2)

Hinweise zur Unterrichts-vorbereitung

Voraussetzungen, Weiterführungen, Alternativen

Voraussetzungen

  • Kenntnisse zur Führung von Informationsgesprächen und zu einer personenzentrierten, biografieorientierten Gesprächsführung sollten vermittelt sein, z. B.  –>  Personenzentriert kommunizieren, –>  Anleiten, Informieren, Schulen, Beraten mit den dort jeweils aufgeführten Voraussetzungen.
  • Die Lernenden sollten auf eine Auseinandersetzung mit eigener Emotionalität und der Emotionalität anderer zurückgreifen können, um existenzielle Ängste von zu pflegenden Menschen zu verstehen und darauf professionell eingehen zu können, z. B. –>  Mein erster Tag auf der Inneren , –> Gefühlswirrwarr aufdröseln , –> Setz dich mal an sein Bett sowie die entsprechende Sequenz in –> Ingos Tagebuch / Blog.
  • Die Lernenden sollten über die entsprechenden Fachkenntnisse in der Medizin und Pharmakotherapie verfügen, um sich kompetent in die entsprechenden Fragestellungen einzufinden.
  • Auch sollten ihnen Grundstrukturen der Institution Krankenhaus sowie der interprofessionellen Zusammenarbeit von Pflegenden mit der ärztlichen Berufsgruppe aus der Praxis oder aus unterrichtlichen Zusammenhängen vertraut sein, z. B. –> Mein erster Tag …, –>  Ingos Tagebuch/ Blog.

Weiterführungen


Parallelen

Anhang

Entwicklung

Didaktischer Kommentar

Die Lernsituation besteht aus zwei Teilen. Der kürzere erste Teil der Lerneinheit setzt sich mit der Rolle der Pflege in der Beziehung zwischen Ärztin/ Arzt und Patient*in auseinander. Die Pflege tritt hier eher flankierend auf. Im zweiten Teil der Lernsituation steht die pflegerische Unterstützung des zu pflegenden Menschen bei auf die Pflege bezogenen Entscheidungen im Mittelpunkt. Die Lernenden sollen die Bedeutung einer umfassenden Recherche und vorhandener externer Evidenzen als eine Basis einer Entscheidungsfindung kennenlernen. Weiter sollen sie realisieren, dass sie die Entscheidungsfindung für den zu pflegenden Menschen durch Information und Beratung erleichtern können. Das Thema schließt an die Lerneinheiten zu den Themen Anleitung / Instruktion und Beratung an.

Literatur

cc 0