Henriette Schulz

Einstieg über die Dokumentation einer Patientinnenakte im Vergleich mit Auszügen aus einem biografisch-narrativen Interview

Gliederung

Der Fall

Biografisches Interview (vgl. Dokumente im Anhang)

Biografisches Interview in einer Klinik, Privatstation Innere Medizin, gekürzte Fassung
(Erläuterungen zum Datenschutz: Die Daten der Patientin wurden anonymisiert.)
P = Patientin /  I 1+2 = Interviewer*innen

P.: So, was möchten Sie jetzt von mir wissen?

I1: Wir haben uns überlegt, dass wir uns gerne mal Ihre Geschichte anhören würden, wie Sie eigentlich krank geworden sind, von dem Moment an, in dem Sie das erste Mal krank geworden sind, bis heute, und was Ihnen alles geholfen hat, mit Ihrer Krankheit fertig zu werden. Da gibt es ja bestimmt auch eine ganze Menge. Und wir haben ganz viel Zeit mitgebracht…

P.: Ich hab auch Zeit.

I1: … und erzählen Sie das ruhig alles in Ruhe.

P.: Ja, acht Jahre komm ich hier ins Haus, bin sehr, sehr zufrieden, bin toll aufgenommen worden, immer hier im Haus, und ich bin zum ersten Mal hier hergekommen mit keine Luft, Atemnot, öfter mit dem Krankenwagen, öfter so, eingeliefert worden – immer mit Bronchien.

(…)

P.: Und da komm ich in der Nacht in Davos an. (…) Erst sollte ich im Hotel bleiben, und dann haben die mich doch noch abgeholt, und wie ich da ankam, war ich restlos fertig, konnte nichts mehr. (…) Am andern Morgen musste ich zur Untersuchung. Zucker und alles wurde untersucht. Hatte ich keinen Sauerstoff im Blut, die Lunge war nicht in Ordnung und dann musste ich sofort in meinem Zimmer Infusion haben. Und dann haben Sie mir nachher nach 2 Tagen gesagt, ich bin mit 560 Zucker gekommen. (…) Dann bin ich 3, 6 Wochen lang nicht aus dem Zimmer gekommen, nur Infusionen, war schwer krank, hab nur gehustet, dass sich die Leute da beschwert haben.

Dann bin ich hier weiterbehandelt worden.

Ich muss vorwegsagen: Ich war mit 50 Jahren Witwe und hab den Freund von meinem Mann nach zwei Jahren geheiratet und nachher gepflegt. Ich war ja Krankenschwester. Der hatte Zucker, Lunge, dieselbe Krankheit, was ich heute habe. Haben sie ihm Knochen weggenommen am Fuß. Ich habe ihn drei Jahre – wir haben 19 Jahre zusammengelebt – den hab ich drei Jahre rund um die Uhr gepflegt. Kam noch ein Pflegedienst, der ihn gemacht hat.

(…)

Dann kam immer dauernd, dass ich keine Luft kriegte, Notärzte und Husten und sehr viel Schleim, immer, grün, immer Schleim, immer Schleim, noch bis jetzt. Und dann wurde festgestellt, dass meine Lunge sehr schlecht ist. Bin immer sehr gut behandelt worden von Professor Weihrauch, alles. Haben sie mich immer durch Infusion und alles einigermaßen wieder hingekriegt.

(…)

Ja, und so ist alles, immer mit Husten, immer mit Schleim, immer so ’ne leichte Lungenentzündung.

(…)

Und mit meinem Fuß, das ging immer einigermaßen. Ich hab immer leichte Schuhe getragen, so spezielle. Mit dem Fuß, das ist ja jetzt auch ganz aktuell. Und seit so einem dreiviertel Jahr fing der Zeh an. Ich hab alle drei Wochen meine Fußpflegerin, schon 16 Jahre die gleiche Fußpflegerin. Dann weiß ich immer, den Donnerstag kommt sie. Den kleinen Zeh, und hier hat sie immer gesagt, wie so ’n klein Hühnerauge, wie so ’ne Druckstelle und da wurde der Zeh immer dunkler, immer dunkler und immer schmerzhafter, bis dann eines Tages ein Loch reinkam, an der Seite, und hat sich dann ganz schlimm entzündet im Fuß. Den haben sie ja jetzt, wie ich hier war, ich kriegte zweimal einen schweren Schüttelfrost hier, man weiß nie, ist es vom Zeh, ist es von der Lunge, weiß man nicht. Habe ich zweimal hier ’n ganz schweren, vor 14 Tagen einen schweren Schüttelfrost gekriegt, und über 40 Fieber. Und ich sollte den Montag operiert werden hier am Fuß, weil Frau Dr. Mirstadt sich sehr eingesetzt hat, dass es mal richtig nachgeguckt wird und nicht weiterläuft. Und da hat man alles absagen müssen und auch eine Rückenmark-Narkose auch nicht erlaubt. Und da haben sie letzten Freitag den Zeh rausgenommen. Lokal gespritzt. Und den Zeh, der war richtig gespalten und man konnte den Knochen auch schon sehen, da haben sie den Zeh rausgeholt. Von Belz aus, das ist der Chirurg.

(…)

Mit Husten war schlimm, ich bin 1975 von Madeira gekommen, konnte mich gar nicht einladen lassen, weil ich, wenn mal so’n bisschen gelacht wurde, dann hab ich gehustet, und gehustet, da fing das schon langsam an. Das waren 5 Wochen und hat man mir gesagt: musst mal einmal aufhören, deine Husterei, das ist ja schlimm. Und so ist das angefangen. Also schwer Bronchitis nicht.

(…)

Aber es hat sich hier sehr gebessert, die Nieren und alles, bin sehr zufrieden. (…) Ich hab ja nun sehr, sehr viel Infusionen gehabt, Tag und Nacht, wie ich aussehe, können sie sich ja vorstellen (zeigt ihre Unterarme).  Und ich hab ja die ganzen Jahre immer Cortison und meine Haut ist ja wie Pergament. Die ganze Haut, die muss immer gepflegt werden, immer eingerieben, sonst hab ich Stellen, und die Beine auch, aber da achte ich immer drauf.

Und ich hab Pflegestufe 1 und die kommen nur, weil ich mit den Augen nicht so gut bin, und ich hatte 11 Tabletten, und die kommen zum Tabletten stellen. Nun will das die Krankenkasse nicht, soll jede Woche gestellt werden, aber ich will das nicht. Hab immer meine Schwester Sabrina, die weiß Bescheid, ich sitz mit, dass ich das sehen kann, den Plan von hier, dass alles richtig ist, wie ich alles immer einnehmen muss. Und spritzen, und messen, und Blutdruck, das mach ich alles selber. Da achte ich auch immer drauf, ich muss dreimal am Tag spritzen, morgens und mittags und abends. Also das mach ich alles noch selber. Aber Tabletten stellen, und dann habe ich diese Thrombosestrümpfe an- und auszuziehen. (…) Und soweit ich denn kann, ich hab ja ne Hilfe.

I1: Im Haushalt?

P.: Ja, im Haushalt, die war eben auch da.

(…)

Aber so schlecht ist es mir lange nicht gegangen, wie jetzt in letzter Zeit. Es lässt nach, aber zuviel hohes Fieber immer. Dann muss ich immer kommen, und dann krieg ich auch Schimpfe, weil dann komm ich die letzte Minute, wenn ich 38° habe, oder 38,2° muss ich sofort kommen. Aber ich komm denn immer, wenn das Fieber schon höher ist. Aber ich werde hier ja immer gut aufgenommen und ich kriege auch immer dies Zimmer hier, und die Schwestern sind hier einmalig. […] Die Schwestern, die gehör’n zu meiner Familie, (…) das ist meine zweite Familie.

Und Chef hat mir auch versprochen, wenn ich im Sterben bin, will ich hier ’n kleines Zimmer (Stimme bricht, beginnt zu weinen 5 sec.). Ich war mit 50 Jahren schon Witwe, mein Mann ist an Krebs gestorben.

Nun hab’ ich so keine Sorgen (Stimme normalisiert sich wieder). Mein Mann war Abteilungsleiter in der Nordwerft, ’ne gute Pension, von daher. Ich bin die Einzigste noch, die die hohe Pension kriegt. (…) Und ich hab ja auch gearbeitet, als Schwester, und die Zusatzversicherung von meinem Mann, so habe ich keine Sorgen.

Aber ich kann nichts mehr unternehmen, das geht nicht mehr. Augenblicklich bin ich ohne Husten.

Ich hab liebe Mitbewohner im Haus. Das ist ein Acht-Familienhaus, Eigentum und wir sind mit zehn Personen. Und ich hab‘ liebe Mitbewohner, unten. Die andern sind alle bei ’ner Bank und Sparkasse und Finanzamt. (…) (Die unter mir,) das sind ganz liebe Leute, sind 70 Jahre, kümmern sich sehr um mich, gucken in der Wohnung, man kann ja nicht jedem trauen, nicht wahr. Man kann nicht jedem trauen, der da rein geht nicht wahr. Und die vermissen das alle im Haus, ich hab immer den Flur geschmückt, jetzt, die Vasen da alles, Blumen rein, und ’nen kleinen Tannenbaum. (…)

Nun komm ich vom Bauernhof, ich muss ein bisschen was Schönes haben. (…)

Ja, das war so. Meine Krankheit. Das ist schade, dass das so ist. Der Chef sagt immer, ich bin  ’n Stehaufmännchen. Der liebe Gott hat noch kein Platz. Ja, der Pastor hat mir gesagt, Frau Schulz, den Termin setzen wir nicht, das wird von oben gesetzt. Das hat er mir schon ein paar Mal gesagt, wenn ich gesagt habe, manchmal hat man keine Lust mehr. Ne. (..)

I2: Da haben Sie ja einiges durchgemacht, Frau Schulz, in Ihrer Lebensgeschichte.

P.: Jaaa. Immer.

I2: Gibt’s denn eigentlich so besondere Stärken, wo Sie sagen würden, dass die Ihnen immer geholfen haben, in so Krisensituationen …

P.: Ja, hier sehr, im Haus.

I2: Nee, was auch so Ihre Person anbelangt, vielleicht irgendwelche besonderen Gedanken oder vielleicht ’nen Glauben, der gesagt …

P.: Ohja, ’nen Glauben hab ich. Ich ehm (..) einer muss uns ja leiten im Leben, nicht, und der kann nur von oben sein, nicht. Aber ich habe, ich gebe gerne, ich bin großzügig. Solange ich’s kann. Ich mach gerne Menschen ’ne Freude. Die für mich was tun, die für mich da sind. Und das kann ich nur sagen, ich hab viele, viele liebe Menschen, die mir sehr helfen und tun, und sich freuen, wenn sie mich sehen, und so. Und das ist ja auch schon was Wert.

I1.: Das gibt auch viel zurück dann, nicht?

P.: Ja, ich kriege viel zurück. Sehr viel zurück.

(…)

P.: Jaa, alle, und hier sind auch nette Schülerinnen. Ich sag immer, wo kriegen sie die her. Nette Schülerinnen.

I2: Haben Sie dann, wenn Sie diesen Husten haben, auch Luftnot?

P.: Immer, sehr. Hier auch immer, das ist morgens auch immer, jede Anstrengung habe ich Luftnot.

I2: Haben Sie denn vielleicht noch so ’n paar andere Tricks, Frau Schulz, was Sie tun, wenn Sie grade diesen schlimmen Husten haben, oder die Luftnot Sie so malträtiert?

P.: Dann nehme ich Sauerstoff und vor allen Dingen Ruhe braucht man. Ich brauch dann Ruhe, keine Anstrengung, dann geh ich auch nicht so bei mir – ich wohne erste Etage – dann gehe ich auch nicht in Keller, bis das vorbei ist. Wenn ich dann erst wieder Sauerstoff gehabt hab, dann geht es. Nun krieg ich auch sehr viel Tabletten, nicht, sehr viel Tabletten für alles.

Und ja mit Essen, der Zucker, da muss ich mich auch danach. Unterzucker hab ich noch nicht gehabt.

I1: Da passen Sie immer auf?

P.: Da pass ich auf. Und ich lebe eigentlich ganz danach, das wissen sie auch hier, dass ich danach lebe.

Nein, Luftnot hab ich ganz schlimm. Wenn ich jetzt hier im Bad und länger, und morgens und so, dann muss ich erst Sauerstoff nehmen. Ich hab ja immer mein, meinen …

I2: Püster?

P.: Das habe ich immer bei der Hand. In der Handtasche, zu Hause auf dem Tisch, immer. Unterwegs, wenn ist, immer.

I1: Und das hilft denn auch ganz gut.

P.: Ja, aber ich darf ja nur, nicht zu viel, ich darf ja nur 2-3 Hub nehmen, und möglichst, wenn es geht, nur dreimal am Tag. Nicht. Also, da kann ich gar nicht ohne.

(…)

P.: (…) aber immer husten, husten. Und jede Erkältung schon immer husten.

I1: Schon ganz früher immer?

P.: Ja, ja, wenn ich, ich hab ja in ’ner großen Krankenanstalt gearbeitet, und wie die alte Frauenklinik mal umgebaut wurde, ’ne Erkältung, Nachtwache, wenn ich da noch dran denke, (…) Ja, und da hatte ich auch schon oft Husten, schon so anfällig von Husten.

I1: Wann war das?

P.: Oh, das warn die 60er Jahre, ja. (…) Da war ja die Werbung, nicht, mit Schwester Karin. Da war alles abgebildet, was sie verdienen, und wie sie wohnen und alles. Ich hab es noch. Ich hab‘ auch das Buch – 100 Jahre die Krankenanstalt. Heute heißt die ja anders. Und wie die Betten 50,– DM kosten. Was haben wir denn da verdient? Keine 100. Das waren ganz andere Zeiten. Und wir haben 12 Stunden Nachtwache gemacht, und wenn sie mit der Nachtwache fertig waren oder die hatten ’nen Todesfall, dann mussten sie das alles aufschreiben, bevor die Feierabend machen konnten. Und dann, nachts, musste man ja die Apotheke schreiben, Blutbank und das alles, und noch laufen, durch das ganze Areal. Bis morgens manchmal um neun. Das erzählen Sie heute mal jemand, was wir geleistet haben.

I1: Das war tüchtig, ja.

P: Ja, wir haben schon was geleistet früher. Ich hab bei Diakonissen gelernt.

I1: Aber da ging das mit der Husterei schon los.

P.: Immer Husten. Immer schon mal Husten.

I2: Haben Sie denn eigentlich, diese Urlaube, die Sie gemacht haben, ganz gezielt deshalb gemacht, um den Husten zu verbessern?

(Frau Schulz erzählt ausführlich von Seereisen und Kuraufenthalten in verschiedenen Luftkurorten.)

P.: Nun hoffe ich, dass ich einigermaßen nach Hause komme und einigermaßen zu Hause zurecht komme. (..) Denn ich bin ja klar im Kopf, und solange ich alleine kann. Ich weiß alles, da kann mir keiner was weiß machen. Und, ich hab nicht viel, aber ich muss noch was Steuern nachzahlen, wegen der Wohnung und so. Aber da sagt mein Sohn: das machst du noch ganz toll.

I2: Machen Sie, wenn Sie diese ganzen Maßnahmen jetzt so mitmachen, da haben Sie doch sicher auch das eine oder andere schriftlich zu erledigen, Frau Schulz, machen Sie das alles selber?

P.: Alles selber.
(Frau Schulz berichtet, dass sie alle Bankgeschäfte und den Schriftverkehr mit Behörden und Versicherungen selbständig erledigt, sich dabei aber zum Teil von Sohn und Enkelkindern beraten lässt. Sie kommt dabei auch auf ihren letzten Willen zu sprechen.)

Ich hab schon alles bezahlt, meine Urne schon ausgesucht, meine Beerdigung ist alles fix und fertig im Koffer, alles schon fertig, und wie ich das haben will, denn ich will auch nicht, wenn die Urnenbeisetzung ist, soll das erst in die Zeitung, sonst ist das nachher alles zu viel.

(…)

P.: Ich hab ’nen guten Weinhändler, den hatten wir schon gesucht, den kenn ich über 40 Jahre, der kommt zweimal im Jahr, der hat ’nen guten Rotwein. Die dritte Generation, jetzt hat er seinen Sohn mitgebracht, der ist 11, das ist jetzt die vierte Generation.

I2: Das sind so Sachen, die Sie sich dann auch mal gönnen, die so bekömmlich sind für Sie.

P.: Ich nicht. Ich hab nie geraucht. Bei uns ist der Bücherschrank an der Seite voll Alkohol, den hat auch mein Lebenspartner immer geschenkt gekriegt. Ich fass gar nix an. Und seit meinem siebzigsten Geburtstag trinke ich nich‘ mal mehr ein Glas Wein. Wegen der Tabletten.

I2: Ach ja, ehm.

P.: Elf Tabletten habe ich manchmal. Das mache ich nicht. Da will ich mir nicht was kaputt machen. Und ich brauche es nicht. Ich habe nie geraucht. Ich war für die Schwestern immer langweilig. Früher, wenn sie im Badezimmer alle geraucht haben. Nie ’ne Zigarette im Mund und Alkohol auch nicht.

Ich schenke gerne, wenn ich hier im Haus bin, die Ärzte sind nett.

I2: Ach, dafür ist der Weinhändler. Ich hatte Sie missverstanden, ich dachte …

(Frau Schulz berichtet, wer von ihr – gerade jetzt zur Weihnachtszeit – eine oder mehrere Flaschen Wein bekommt: Krankenhausärzte, Stationen, Ärzte, Nachbarn, die ja ihr Husten erdulden müssen, Sohn und Enkelkinder …)

(Das Gespräch kommt nochmals auf die verschiedenen Krankenhausaufenthalte und Operationen:)

P.: Ich hab ’ne gute Heilung. Gesund gelebt. Auf dem Bauernhof groß geworden früher. Nur Schwarzbrot, selbstgebacken (lacht). Soviel Schwarzbrot wurde draußen in dem Ofen gemacht, ein halbes Jahr das gleiche Brot. Und wenn die Kruste oben hart war, dann wurde ein Schüsseltuch oben drauf gelegt früher. Wenn der Vater denn so geschnitten hat. Die Scheiben. Und viel Eintopf.

Wo ich immer viel Ärger mit gehabt hab, wo ich junges Mädchen war, ich hab immer stabile Oberschenkel gehabt. Und das hat mich ewig geärgert. Also wenn wir mit den Jungs schwimmen gingen, in der Nähe vom Baggersee, wir sind ja immer zum Baggersee gefahren, und dann habe ich mich immer geärgert, immer geärgert. Und je älter man wird, je stabiler sind sie geworden. Wenn ich andere sehe, dass sie schicke Hosen tragen, das mag ich nicht leiden, wenn das so eng ist oben, nicht.

I1: Aber schwimmen gehen haben Sie immer gerne gemacht?

P.: Ja, aber nachher durfte ich nicht mehr.

(…)

(Bandende – Frau Schulz berichtet noch von einem Gewinn, den sie bei einer Fernsehshow durch einen Telefonanruf erzielt hat.)

 

Situations-merkmale

Zielgruppe

  • Menschen im Erwerbsalter (30 – 69 Jahre)
  • ältere Menschen (ab 70 Jahre)

Setting

  • häusliche Pflege
  • stationäre Langzeitversorgung

Pflegeanlass

  • Kommunikations- / Informations-/ Beratungsbedarf
  • Erkrankung Herz-Kreislaufsystem / Atmung
  • chronische Erkrankung

Lernsequenzen

Sequenz 1 - Fallvorstellung Frau Schulz - Henriette Schulz als Person kennenlernen

4 Std. (davon Kommunikation: 1 Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • identifizieren und ordnen die Informationen aus den Dokumentationsunterlagen der Patientin,
  • identifizieren und ordnen die Informationen und lebenslaufbezogenen Daten aus dem Textauszug des transkribierten Interviews,
  • unterscheiden Ressourcen und Anforderungen bzw. Probleme für die Patientin in der pflegerischen und medizinischen Dokumentation sowie im transkribierten Interviewtext,
  • entwickeln Lernfragen nach Durchsicht der verschiedenen Dokumente,
  • nehmen die gesundheitliche Situation und die Lebenswelt der Patientin aus unterschiedlichen Außenperspektiven wahr,
  • versuchen, durch kognitive Einfühlung das Selbstkonzept der Patientin zu verstehen,
  • setzen aus den unterschiedlichen Perspektiven ein möglichst umfassendes Bild bzw. Mosaik von der Lebenswelt und der gesundheitlichen Situation von Frau Schulz zusammen,
  • vergleichen die unterschiedlichen Sichtweisen und Bilder von der Patientin, die sich aus den objektiven Daten der Dokumentation und dem subjektiv-persönlichen Lebensbericht ergeben und arbeiten Widersprüche heraus,
  • reflektieren unterschiedliche, auch widersprüchliche Sichtweisen auf ein und dieselbe Person, die sich aus unterschiedlichen Rollenperspektiven ergeben,
  • reflektieren unterschiedliche Perspektiven auf Gesundheit und Krankheit.

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... lesen die Patientinnenakte (s. Anhang) von Henriette Schulz und halten die für sie wichtigsten Informationen auf Moderationskarten fest Partner*innenarbeit mit Patient+innenakte - Kartenabfrage
2 ... halten zudem fest, welche Informationen unbekannt sind und was sie wissen müssten, um diese Patientin gut zu versorgen Partner*innenarbeit - Kartenabfrage
3 ... diskutieren ihre Ergebnisse im Unterrichtsgespräch und halten diese an zwei Moderationswänden fest Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
4 ... lesen anschließend den Interviewtext und tauschen sich bei gleichbleibenden Fragestellungen aus, ergänzen hierbei auch die genannten, lebenslaufbezogenen Daten Partner*innenarbeit mit Interviewtext
5 ... sammeln die Ergebnisse auf einer dritten Moderationswand zur Situation der Patientin und ergänzen die Lernfragen Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
6 ... vergleichen die jeweils ermittelte Situation von Frau Schulz: Welches Bild vermittelt die Patientinnenakte, welches Bild vermittelt die Patientin von sich selbst? Partner*innenarbeit - Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
7 ... teilen sich in sechs unterschiedliche Gruppen auf, bei der jeder Gruppe ein Charakter zugeordnet wird (Stationsärztin/ -arzt, Diabetesfachkraft, guter alter Bekannter, die besorgte Tochter, die Bezugspflegekraft sowie Henriette Schulz selbst) Gruppenarbeit zur Vorbereitung eines 'Tratschgesprächs'
8 ... bereiten sich in ihren Kleingruppen für ihre jeweilige Rolle vor und bestimmen eine Person, welche den Charakter im Rollenspiel übernimmt Gruppenarbeit - Vorbereitung Rollenspiel -> Regieanweisung: die fünf Charaktere (Außenperspektive) sind untereinander persönlich bekannt, treffen sich zufällig auf dem Stationsflur und unterhalten sich darüber, wie es mit Frau Schulz bzw. Henriette weitergehen soll - Henriette Schulz beobachtet diesen 'Tratsch' unbemerkt
9 ... spielen die Szene und versuchen dabei, jede Perspektive in das 'Tratschgespräch' miteinfließen zu lassen - die Gruppe, die die Perspektive von Henriette Schulz übernommen hat, kommentiert diesen 'Tratsch' zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten aus ihrer Perspektive heraus Rollenspiel - 'Tratschgespräch'
10 ... stellen vor dem Hintergrund des Rollenspiels an Moderationswänden vergleichend gegenüber: die Patientin Frau Schulz (Probleme/ Anforderungen und Ressourcen) - Henriette als Privatperson (was sie kann und liebenswert macht und was eher problematisch erscheint) und markieren, welche Sichtweise für welche Rollenperspektive im Fokus steht Partner*innenarbeit, Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
11 ... lernen den weiteren Verlauf der Lernsituation kennen und ordnen die Lernfragen den entsprechenden Stellen zu Lehrer*invortrag orientiert an einer grafischen Darstellung der Lernsequenzen und Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch

Sequenz 2 - Modelle von Gesundheit/ Krankheit und die Methode des biografisch-narrativen Interviews als Instrument in der Pflegediagnostik

4 Std. (davon Kommunikation: 2 Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • erklären das Modell der Salutogenese (und andere Modelle zur Gegenüberstellung) als Grundlage für die weiteren Unterrichtssequenzen,
  • nennen grundsätzliche Unterschiede im Gesundheitsverständnis zwischen Salutogenese und Pathogenese,
  • reaktivieren ihre Kenntnisse zu 'Biografie',
  • erläutern Grundregeln für die Durchführung eines biografischen Interviews und Techniken des aktiven Zuhörens,
  • nennen Formen des erzählgenerierenden Fragens und Nachfragens im Zuge eines biografischen Interviews,
  • erklären das Konzept des biografischen Interviews als einen Weg der Anamnese und Diagnostik im Pflegeprozess.

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... betrachten das Bild 'Der Mensch als Industriepalast' (1929) von Fritz Kahn, äußern erste Eindrücke und spekulieren, was einen Menschen (als Industriepalast) laut dieser Darstellung gesund hält bzw. krank macht Bildinterpretation - Murmelgespräch -> Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch <- alternativ kann auch die Videoanimation des Bildes von Henning M. Lederer (2010) eingesetzt werden
2 ... wiederholen im Anschluss bereits bekannte Definitionen zu den Begriffen Gesundheit und Krankheit und setzen diese in Bezug zum 'Menschen als Industriepalast' Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
3 ... wiederholen bzw. erarbeiten sich in Kleingruppen die Kernaussagen zu den unterschiedlichen Gesundheits- bzw. Krankheitsmodellen und visualisieren diese (Salutogenesemodell und weitere mögliche Modelle, z. B. Health-Belief-Modell, bio-medizinisches Modell, bio-psycho-soziales Modell, Risikofaktorenmodell,...) Kleingruppenarbeit
4 ... diskutieren die erarbeiteten Modelle speziell vor dem Hintergrund von chronischen Erkrankungen (z. B. im Vergleich zu akuten Erkrankungen) Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
5 ... betrachten das in Sequenz 1, Schritt 10, entwickelte Gesamtbild zur Gesundheits- und Lebenssituation von Frau Schulz und differenzieren diese Wahrnehmung und Bewertung von Gesundheit und Krankheit aus den zuvor erarbeiteten unterschiedlichen (pflege-)theoretischen / gesundheitswissenschaftlichen Perspektiven bzw. Konzepten Partner*innenarbeit
6 ... diskutieren ihre Deutungen mit weiteren Partner*innen und äußern ihre Kernerkentnisse im Plenum Kleingruppenarbeit aus zwei bis drei Partner*innengruppen zusammengesetzt -> Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
7 ... aktivieren bisher erarbeitete Kenntnisse zur 'Biografiearbeit' und erinnern bereits durchgeführte Projekte zu diesem Themenkomplex Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
8 ... lernen die Prinzipien und die Intentionen des (narrativ)-biografischen Interviews als Grundlage einer ressourcenorientierten Beratung und Pflege kennen Lehrer*invortrag - Prinzipien sollten mit Beispielen aus dem Interview mit Henriette Schulz illustriert werden
9 ... finden weitere mögliche Beispiele für erzählgenerierende Fragen Partner*innenarbeit - Lehrer*innen-Schüler*innen-Gespräch
10 ... sammeln Dos and Don´ts (Handlungsrichtlinien) für die Interviewführung (Haltung als Interviewer*in) und arbeiten die Gemeinsamkeiten (und Unterschiede) zur Personenzentrierten Gesprächsführung heraus Brainstorming - Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
11 ... entwickeln den Zusammenhang der Intentionen in dem Konzept der Salutogenese und dem biografieorientierten Arbeiten für ein individuelleres und tieferes Verständnis der zu pflegenden Menschen Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch

Sequenz 3 - Differenzierte medizinische Sicht auf die Situation der Patientin Schulz -> fallbezogene Vertiefung zu den Krankheitsbildern Diabetes mellitus, COPD und Herzinsuffizienz und zu den Wechselwirkungen der Pathologie und Medikation bei bestehender Ko-Morbidität

mind. 2 - abhängig v. d. Vorkenntnissen Std. (davon Kommunikation: - Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • erarbeiten bzw. diskutieren erweiternde Kenntnisse zu offenen Fragen in Verbindung mit der gesundheitlichen Situation von Frau Schulz, d. h. zur Pathologie von Diabetes mellitus, COPD und Herzinsuffizienz und der medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapie,
  • festigen ihr Wissen in Pathologie und Pharmakologie, indem sie Fragen von Frau Schulz zu ihrer gesundheitlichen Situation fachlich korrekt und gleichzeitig für sie nachvollziehbar beantworten,
  • fokussieren insbesondere Momente, die sich aus der Ko-Morbidität und den Wechselwirkungen zwischen den Symptomen und Medikamenten ergeben.

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... vergegenwärtigen sich die in Sequenz 1 erarbeiteten Fragen, die sich auf die gesundheitliche Situation von Frau Schulz, ihre Diagnosen, die Symptome und deren Ursachen sowie die medizinische Therapie beziehen, präzisieren und systematisieren diese und erarbeiten sich die erforderlichen Wissenszusammenhänge bzw. klären diese im Diskurs untereinander sowie mit der Expertin/ dem Experten Strukturierung und Ergänzung der Fragen im Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch, Klärung der Fragen im Expert*innen-/ Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch oder durch Selbsterarbeitung mit vorbereitetem Lehrmaterial bzw. durch Eigenrecherche und anschließendem Wissensaustausch
2 ... sichern vorhandenes Wissen zu Pathophysiologie und (Pharmako-)Therapie durch die fachgerechte Beantwortung fiktiver Fragen von Frau Schulz zu ihrer gesundheitlichen Situation Erarbeitung von patientingerechten Antworten in Kleingruppen - Lehrende können die Rolle der Patientin übernehmen <- die Fragen sollten insbesondere auch Wechselwirkungen der Erkrankungen sowie der therapeutischen/ pharmakologischen Interventionen fokussieren

Sequenz 4 - Selbst ein biografisches Interview durchführen

8 Std. (davon Kommunikation: 3 Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • bereiten Formulierungen des erzählgenerierenden Fragens und Nachfragens im Zuge eines biografischen Interviews vor und setzen sie ein,
  • wenden Grundregeln in der Durchführung eines biografischen Interviews und Techniken des aktiven Zuhörens an,
  • hören bei der Durchführung eines biografischen Interviews aktiv zu und motivieren ihr Gegenüber, von sich zu erzählen,
  • identifizieren aus den Dokumentationsunterlagen die biografischen, gesundheits- und therapiebezogenen Eckdaten ihrer Interviewpartnerin/ ihres Interviewpartners und fassen sie zusammen,
  • benennen Unklarheiten und Wissenslücken zu den dokumentierten medizinischen und pflegerischen Diagnosen und Therapien bzw. Interventionen und versuchen diese weitestgehend selbständig zu klären,
  • fassen den Verlauf des Interviews und die Kernaussagen hypothesengeleitet zusammen,
  • identifizieren in den erhobenen Daten die Ressourcen und Probleme/ Anforderungen, denen die interviewte Person gegenübersteht,
  • unterscheiden zwischen subjektivem Erleben der interviewten Person und den objektiven Daten der medizinischen Diagnostik,
  • entwickeln eine Präsentation zur Fallvorstellung,
  • verständigen sich über das Erleben in der eigenen Haltung als Interviewer*in, z. B. auch hinsichtlich der Wahrnehmung von Grenzen und Grenzüberschreitungen,
  • tauschen sich über ihre Erfahrungen und Eindrücke in den durchgeführten Interviews aus,
  • verständigen sich über die eigene Betroffenheit/ eigenen Ängste bezogen auf geäußerte Gefühlsregungen der Interviewpartner*innen,
  • nehmen die Situation der interviewten Person wahr, lassen sich auf ihre Gedankenwelt ein und deuten diese,
  • nehmen die veränderte Lebenssituation durch chronische Erkrankung wahr und beziehen sie in ihre Deutung ein,
  • bilden Hypothesen zur individuellen Sicht der interviewten Person auf ihr Leben und ihre gesundheitliche Situation,
  • verständigen sich über die Bedürfnisse, die individuellen, medizinisch-krankheitsbedingten und psychosozialen Anforderungen/ Probleme sowie die personalen und umweltbedingten Ressourcen der Interviewpartnerin / des Interviewpartners,
  • reflektieren fallbezogen auftauchende Widersprüche zwischen den objektiv erfassten und beschriebenen (krankheits-bezogenen) Patient*innendaten und Diagnosestellungen und dem subjektiven Erleben der interviewten Person.

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... erhalten Grundinformationen zu 'ihren' Interviewpartner*innen Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch bzw. Informationen durch die Lehrenden und/ oder die Ansprechpartner*innen in den kooperierenden Einrichtungen
2 ... nehmen Kontakt mit der kooperierenden Einrichtung und / oder direkt mit der/ dem Interviewpartner*in auf und sprechen den genauen Zeitpunkt des Interviews ab, unterrichten sie/ ihn zu ihrem Anliegen und holen die schriftliche Einverständniserklärung ein Schritt 2-8: selbstorganisierte Gruppenarbeiten mit vorab erteiltem, schriftlich formuliertem und gemeinsam besprochenem Arbeitsauftrag (3 - 4 Lernende - Aufzeichnungsgerät und Einverständniserklärung)
3 ... führen das Interview durch (Schwerpunkt: persönliche Geschichte der Erkrankung, offene Fragestellung, die zu befragende Person erzählen lassen und das Gespräch unter Berücksichtigung ihrer individuellen Belastbarkeit führen)
4 ... erheben anhand der Dokumentation (Kurve/ Patient*in-nenakte) die Diagnosen und die erfolgte sowie geplante Therapie/ Pflege (einschließlich Medikation) der Interviewpartner*innen, benennen Unklarheiten und offene Fragen zu medizinischen und pflegerischen Diagnosen und Therapien bzw. Interventionen und versuchen, diese zunächst möglichst durch eigenständige Recherche zu klären
5 ... tauschen sich über ihre Eindrücke und ihre individuellen Bilder zur Situation der Befragten aus und entwickeln gemeinsam erste Deutungshypothesen zur Relation der Gesundheits- und Lebenssituation und zu den Ressourcen und Anforderungen/ Problemen der interviewten Person, die für die weitere Bearbeitung den Fokus für die Auswertung der Daten bilden für diesen Schritt die Lernenden ermutigen, differierende Hypothesen zuzulassen und in der weiteren Bearbeitung parallel zu verfolgen
6 ... erstellen einen Kurzüberblick über die Interviewpartner*in (ca. 1 DIN A4- Seite: Geschlecht, Alter, Diagnose, Therapie, Pflegeprobleme, Pflegeschwerpunkte und soziale Situation)
7 ... hören das Interview mehrfach, notieren Stichworte zum Verlauf (mit Zeitmarken), wählen entscheidende Passagen aus und transkribieren Auszüge, die vor dem Hintergrund der entwickelten Hypothesen bedeutungsvoll bzw. für die Interviewpartner*in charakteristisch erscheinen (ca. 2 DIN A4-Seiten).
8 ... ermitteln vor dem Hintergrund dieser Interviewbear-beitung Ressourcen und Probleme/ Anforderungen der interviewten Person und differenzieren dabei ihre subjektive Wahrnehmung im Vergleich zu den in den Unterlagen dokumentierten objektiven Daten, und kennzeichnen Widersprüche, differierende Hypothesen und offene Fragen
9 ... erarbeiten die Präsentation für eine individuelle Fallvor-stellung der interviewten Person, formulieren Fragen, die sie im Rahmen einer Fallbesprechung klären möchten und erarbeiten eine abschließende Gesamteinschätzung des Falls Präsentationsform ist frei wählbar

Sequenz 5 - Fallvorstellung und Fallbesprechung

8 Std. (davon Kommunikation: 3 Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • stellen die biografischen Eckdaten sowie die erhobenen Informationen aus der Krankenakte vor, z.B. Diagnosen, medikamentöse Therapie, geplanter Pflegeprozess,
  • klären und diskutieren offene, fachliche Fragen zu den dokumentierten medizinischen und pflegerischen Diagnosen und Therapien bzw. Interventionen im Expert*innengespräch,
  • fassen die Lebenssituation, die gesundheitliche Situation und die Pflegesituation zusammen,
  • identifizieren die Unterschiede zwischen fremderhobenen, verobjektivierten Patient*innendaten und im Interview narrativ erhobenen Informationen und deren jeweilige Bedeutung für das pflegerische Handeln,
  • verständigen sich über die Situation und das Erleben der interviewten Person im Netzwerk der Gesundheitsversorgung,
  • verständigen sich über ihre Gefühle und Deutungen zu der individuellen Lebensweise und Gedankenwelt der interviewten Person,
  • stellen unterschiedliche Hypothesen und offene Fragen zur Auslegung von Daten zur Diskussion,
  • stellen die von ihnen identifizierten Anforderungen / Probleme und Ressourcen der befragten Person auf den unterschiedlichen Ebenen zur Diskussion,
  • tauschen sich über die individuellen Bedeutungen von Gesundheits- und Krankheitserleben aus der Perspektive der interviewten Personen im Vergleich aus,
  • berichten von ihren Erfahrungen mit der Durchführung eines Interviews und tauschen sich über Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Erlebten aus,
  • verständigen sich über ihr Erleben beim Einlassen auf die Gedankenwelt anderer, ihnen wenig/ nicht vertrauter Menschen,
  • verständigen sich über ihre Gefühle und Reaktionen gegenüber zu pflegenden Menschen, die durch ihr Verhalten ihre eigene Gesundheit gefährden,
  • reflektieren den Widerspruch zwischen regelrechtem, medizinisch-pflegerischem Wissen/ Handeln einerseits und der im Interview geäußerten bzw. gedeuteten Wirklichkeit der zu pflegenden Menschen andererseits,
  • reflektieren den Widerspruch zwischen Gesund-sein-wollen und -bleiben einerseits und dem (lustvollen) gesundheitsgefährdenden Ausleben von Bedürfnissen andererseits,
  • reflektieren den Wunsch nach Autonomie und Ablehnung von Bevormundung einerseits und dem Wunsch nach Heilung und Fürsorge andererseits.

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... stellen ihre/ ihren Interviewpartner*in (inkl. Diagnosen, pflegerischen Interventionen und Medikation) und das durchgeführte Interview vor, erläutern die von ihnen identifizierten Ressourcen und Probleme/ Anforderungen und ihre Deutungshypothesen und offenen Fragen Gruppenpräsentation - Präsentationsform ist frei wählbar
2 ... bilden im Anschluss an jede Präsentation eine kurze Frage- und Diskussionsrunde und erfahren eine Rückmeldung von den anderen Lerngruppen und von Lehrpersonen aus unterschiedlichen Fachrichtungen - auf diese soll in der folgenden Sequenz wiederum Bezug genommen werden Frage- und Diskussionsrunde im Plenum - Sicherung der Rückmeldungen in Protokollen der jeweiligen Gruppen
3 ... geben abschließend eine Rückmeldung, wie sie den Prozess der Interviewführung und Ausarbeitung erlebt haben und was sie bei einem nächsten Interview verändern würden Gruppenpräsentation

Sequenz 6 - Was könnte getan werden? - Informations- und Aufklärungsbedarfe erkennen und mögliche Angebote der Gesundheitsförderung auf der Grundlage der erhobenen Daten vorschlagen

3 Std. (davon Kommunikation: 3 Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • nennen mögliche Voraussetzungen für effektive Maßnahmen und Konzepte im Rahmen von Prävention und Gesundheitsförderung, die bestimmte gesellschaftlichen Gruppen erreicht (Public Health), auf gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Ebene,
  • nennen Vorteile und Voraussetzungen für die Förderung niedrigschwelliger Angebote,
  • diskutieren mögliche Bedarfe der interviewten Personen für kommunikative Interventionsangebote, z. B. Anleitung, Information, Schulung, Beratung, Therapie, in der Gesamtschau,
  • identifizieren die konkreten Bedürfnisse der jeweiligen Patient*innen hinsichtlich ihres Informations-, Schulungs- und Beratungsbedarfs, die nutzbaren Ressourcen, die anzustrebenden Ziele und die so zu begründenden Maßnahmen,
  • entwickeln Vorschläge für die alltagsgerechte Aufbereitung gesundheitsbezogener Informationen,
  • verständigen sich über ihre eigenen Gefühle und Interessen in Bezug auf Beratung und/ oder Schulung,
  • tauschen sich über Reaktionen und Gefühle (Verständnis, Zorn, Ärger, Trauer, ...) aus gegenüber Patient*innen, die die eigene Gesundheit durch ihr Verhalten gefährden,
  • reflektieren widersprüchliche Anforderungen im Zusammenhang mit Beratung und Schulung (Autonomie der zu pflegenden Menschen einerseits und aus pflegerischer/ medizinischer Sicht wünschenswertes Verhalten andererseits).

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... aktivieren ihre Kenntnisse zu den Definitionen bzw. Begriffsabgrenzungen im Bereich von kommunikativen Interventionsstrategien wie Anleitung, Information / Aufklärung, Schulung, Beratung, Therapie Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch bzw. Kurz-Methode zur Wissensreaktivierung (Kreuzworträtsel, ABC-Methode, ...) in Abhängigkeit davon, wie präsent die Kenntnisse noch bei den Lernenden vermutet werden
2 ... hören einen ergänzenden Vortrag zu den Zielsetzungen und Anforderungen an Gesundheitsförderung und Beratung durch Pflegende (mit Bezug auf die in Sequenz 2 erarbeiteten Konzepte) Lehrer*inkurzvortrag
3 ... betrachten hierzu die in Sequenz 5 vorgestellten Fallsituationen mit den ermittelten Problemstellungen / Anforderungen sowie Ressourcen in einer vergleichenden Übersicht und sammeln begründet jeweils Ideen für geeignete kommunikative Interventionsstrategien Ideensammlung moderiert durch die/ den Lehrer*in (z. B. im Mind map oder in Tabellenform)
4 ... identifizieren den vermuteten Informationsbedarf der jeweils interviewten Person und formulieren mögliche Ziele, die diese in Bezug auf ihre Gesundheit und ihr Lebensgefühl anstreben könnte (-> mit Rückgriff auf Zitate im Interview, unter Nutzung der Rückmeldungen aus Sequenz 5, Schritt 2, sowie mit Bezug auf ein oder mehrere Modelle zum Verständnis von Gesundheit und Krankheit, vgl. Sequenz 2, Schritt 3) Schritt 3-5: Fortsetzung der Gruppenarbeit
5 ... überlegen hierzu konkret, über welches krankheitsbezogene Wissen die interviewte Person noch nicht verfügt, ob sie diese Kenntnisse für ein besseres Leben mit ihrer Erkrankung benötigt und entwickeln exemplarisch einen Vorschlag, wie eine neue Information sinnvoll in den Alltag des befragten Menschen integriert werden könnte
6 ... konkretisieren damit Ideen für kommunikative Interventionsangebote, die zur Gesundheitsförderung und Verbesserung des Wohlbefindens der Person beitragen würden, indem sie auch die ermittelten Ressourcen einbinden und arbeiten auf dieser Grundlage einen Vorschlag für ein Angebot aus, das sie dieser Person bei einer zweiten (nur angenommenen) Begegnung machen würden
7 ... stellen ihre Vorschläge im Plenum kurz vor Präsentation - alternativ bzw. ergänzend: Möglichkeit zur Zusammenfassung der gesamten Erarbeitung in einem Portfolio als Lernzielkontrolle

Sequenz 7 - Gesundheitsförderung als gesellschaftliche Aufgabe im Widerspiel unterschiedlicher Interessengruppen

3 Std. (davon Kommunikation: - Std.)

didaktisch inhaltliche Zuordnung

Die Lernenden...

  • tragen ihre Erkenntnisse aus den vorangegangenen Lernsequenzen zusammen,
  • benennen und begründen Zweifel und Widerstände gegenüber biografieorientierter Pflegediagnostik und pflegerischen Angeboten in der Gesundheitsförderung,
  • nennen die Grundpositionen verschiedener Interessengruppen und Verbände gegenüber biografieorientierter Pflegediagnostik und pflegerischen Angeboten in der Gesundheitsförderung,
  • verständigen sich argumentativ über ihre individuelle Positionierung hinsichtlich Patientinakte vs. Interview von Frau Schulz, Salutogenese vs. Pathogenese, Problemorientierung vs. Biografieorientierung und Aufklärung vs. keine Aufklärung,
  • reflektieren widersprüchliche Anforderungen im Zusammenhang mit Beratung und Schulung (Autonomie der zu pflegenden Menschen einerseits und aus pflegerischer/ medizinischer Sicht wünschenswertes Verhalten andererseits).

didaktisch methodischer Verlauf

Die Lernenden... Methodik
1 ... benennen ihren Kenntnis-, Erfahrungs- und Kompetenz-zuwachs aus den vorherigen Lernsequenzen im Hinblick auf biografieorientierte Pflegediagnostik, die Möglichkeiten pflegerischer Angebote in der Gesundheitsförderung und zur Pathogenese der betrachteten Krankheitsbilder und haben Raum, auch Kritik und Zweifel zusammenzutragen Schreibgespräch zu verschiedenen Themen, Statements im Kreisgespräch, Lehrer*in-Schüler*innengespräch, ggf. mit provokanten Thesen oder anderem Evaluationsverfahren
2 ... ordnen sich unterschiedlichen Interessengruppen / Einrichtungen/ Verbänden im Gesundheitssystem zu (Gesundheitsministerium, Krankenkassen, Pflegeanbieter, Pflegeverbände, Verband der Auszubildenden in der Pflege, Patient*innenverbände, ...), lesen sich in die jeweiligen Positionen zur Gesundheitsförderung und individueller, biografieorientierter Pflegediagnostik ein bzw. recherchieren/ formulieren entsprechende Positionen in der Grupp; bereiten sich anhand eines Themen- / Fragenkatalogs auf die anschließende Diskussion vor und bestimmen eine*n Vertreter*in Gruppenneubildung
3 ... diskutieren den bisherigen Erfolg/ die gegenwärtigen Missstände in der Integration der Gesundheitsförderung in das Aufgabenprofil von Pflegekräften sowie die Chancen einer umfassenden Implementierung von biografieorientierter Pflegediagnostik in Pflegeeinrichtungen Fishbowl-/ Podiumsdiskussion, moderiert durch die/ den Lehrende*n (max. 15-20 Minuten)
4 ... pointieren die zentralen Positionen in einer Übersicht und ordnen sie vor dem Hintergrund der in Sequenz 2, Schritt 3, erarbeiteten Modelle zum Gesundheits- / Krankheitsverständnis Schritt 4 und 5: Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch
5 ... arbeiten aus dieser Übersicht gut erkennbare, strukturelle Widersprüche der Pflege bzw. der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung heraus und halten sie schriftlich fest
6 ... nehmen abschließend persönlich Stellung, indem sie die Konsequenzen benennen, die sie für sich selbst und ihre berufliche Praxis aus der gesamten Lernsituation und der abschließenden Diskussion ziehen ggf. Notiz im Lerntagebuch -> Veröffentlichung im Blitzlicht

Hinweise zur Unterrichts-vorbereitung

Voraussetzungen, Weiterführungen, Alternativen

Voraussetzungen


Weiterführungen

Anhang

Entwicklung


Dokumente

Didaktischer Kommentar

Inhaltliche Bezugspunkte der Lernsituation Henriette Schulz bilden neben den Konzepten Gesundheitsförderung und Prävention, die pflegerischen Aufgaben im Bereich Beratung und Schulung und die Gesundheits- bzw. Pflegeprobleme durch chronische Erkrankungen. Um Zugang zum biographisch geprägten Sinngehalt von Gesundheit und Krankheit sowie zu den Ressourcen der Patientin zu erhalten, wird methodisch das biografisch-narrative Interview genutzt (vgl. Sander 2003, Hanses 2001). Das biografisch-narrative Interview schafft eine völlig andere Sichtweise auf die Situation der Patientin als der Blick in die höchst umfangreiche Patientinakte. Durch das Interview lassen sich zudem Ressourcen erkennen, Sinndeutungen des gelebten Lebens und der gegenwärtigen Situation.

Die Lernsituation Henriette Schulz wurde ursprünglich im Rahmen einer umfassenderen Unterrichtseinheit zum Thema „Gesundheitsföderung und Prävention“ entwickelt und fand in 15 Lernsequenzen statt. Eingeführt wurde die Lernsituation mit der Fallvorstellung „Frau Schulz – Patientinakte und Interview“, gefolgt von Unterrichtsstunden zu den Themen „Salutogenese“ und „biographisches Interview“. Das Modell der Salutogenese wurde in diesem Zusammenhang mit anderen Modellen der Gesundheit bzw. Krankheit kontrastiert. Im Anschluss führen die Lernenden selbstständig ein solches Interview durch und werten es aus. Parallel können optional dazu bzw. zeitversetzt die Unterrichte mit Inhalten zu den Themen Krankheitslehre, Pflege, Diätetik, Beratung und Anleitung bezogen auf die Krankheitsbilder Diabetes mellitus und COPD erfolgen. Weiter können Grundlagen zur Gesundheitspolitik und -ökonomie sowie der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit in weiteren Sequenzen thematisiert werden. Diese Stränge werden jedoch in dieser Darstellung nicht ausgeführt.

Literatur

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