2. Semester,
Stunden gesamt: 6
Reflexion
Pflegende und Lernende
Grundlagen, Prinzipien und Risiken von Empathieentwicklung
0,5 Std. (davon Kommunikation: 0,5 Std.)
Die Lernenden...
Die Lernenden... | Methodik | |
1 | ... sehen eine Sequenz aus "Lachen in der U-Bahn" (Link siehe Literaturverweis) | Videorezeption als Einstiegsimpuls, Dauer der gezeigten Sequenz sollte mindestens so lang sein, dass auch bei einem größeren Teil der Lernenden ein Resonanzphänomen zu beobachten ist |
2 | ... beschreiben ihre Beobachtungen bei sich selbst und bei den Personen in der Filmsequenz | Schritt 2-4: Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch, ggf. Ausschnitte aus dem Film wiederholen |
3 | ... aktivieren ihr Vorwissen und bilden Hypothesen, wie es zu diesen Reaktionen kommen kann | |
4 | ... sammeln Beispiele für vergleichbare Spiegel- / Resonanzphänomene | |
5 | ... lernen neurophysiologische Erklärungen für dieses Phänomen kennen (auf populärwissenschaftlicher bzw. allgemeinverständlicher Basis ohne die Voraussetzung von vertieften neurophysiologischen Kenntnissen) | Lehrer*invortrag |
2 Std. (davon Kommunikation: 2 Std.)
Die Lernenden...
Die Lernenden... | Methodik | |
1 | ... lesen (arbeitsteilig) verschiedene Definitionen von und Erläuterungen zu Empathie (und verwandten Begriffen) und formulieren, was sie davon verstanden haben | Textarbeit - Einzelerarbeitung und Zusammenführung in Kleingruppen |
2 | ... tragen ihre Erkenntnisse im wechselseitigen Austausch zusammen | strukturierte Methode zum Austausch der einzelnen Arbeitsergebnisse, z. B. Zahnradmethode |
3 | ... definieren für sich auf einer Skala, für wie empathisch sie sich einschätzen | Schritt 3 und 4: Einzelarbeit (möglichst mit Internet-Zugang) |
4 | ... beantworten einen Test zur Empathiefähigkeit, z. B. Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen, und werten ihn für sich (anonym) aus | |
5 | ... definieren im Austausch, wie bedeutsam sie Empathiefähigkeit für sich persönlich einschätzen | z. B. mit Hilfe einer vergleichenden Skalenabfrage und einer Diskussion im Plenum, anschließende Dokumentation der Skala und der in der Lerngruppe vertretenen Positionen, damit beides für eine Reflexion zum Ausbildungsende zur Verfügung steht (--> Chorea Huntington) |
6 | ... hören/ lesen relevante Ergebnisse der Empathieforschung aus unterschiedlichen Studien | Lehrer*invortrag oder zusammenfassende Texte und Diskussionsfragen |
7 | ... entwickeln auf der Grundlage dieser Vorarbeiten eine Ordnung der bis zu diesem Moment erarbeiteten Begrifflichkeiten zu den Dimensionen von Empathie (vgl. Tabelle) | Erarbeitung einer Tabelle im Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch (vgl. Beispieltabelle im Anhang) oder Strukturlegen in Kleingruppen, anschließend Ergebnisvergleich / Auswertung im Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch |
1,5 Std. (davon Kommunikation: 1,5 Std.)
Die Lernenden...
Die Lernenden... | Methodik | |
1 | ... hören/ lesen Erläuterungen zu den Phänomenen 'empathischer Stress', 'empathisches Trauma', 'empathischer Kurzschluss' | Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch bzw. Textarbeit |
2 | ... finden vergleichbare Beispiele aus ihren Beobachtungen der Praxis und identifizieren Momente von empathischem Stress in ihren bisherigen eigenen Erfahrungen | Erarbeitung anhand eines Arbeitsauftrags in Partner*innenarbeit mit anschließender Veröffentlichung ausgewählter Ergebnisse im Plenum |
3 | ... nennen Ansatzpunkte (Regeln oder Leitsätze) für einen reflektierten Umgang mit Empathie | Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch mit Ergebnissicherung (Tafel, Wandzeitung, klasseneigene Lernplattform) |
2 Std. (davon Kommunikation: 2 Std.)
Die Lernenden...
Die Lernenden... | Methodik | |
1 | ... diskutieren die Bedeutung, die der Begriff der Empathie für die Pflege und im Rahmen der Pflegeausbildung hat, indem sie die Erkenntnisse aus Sequenz 2 und Sequenz 3 gegenüberstellen und gegeneinander abwägen | Pro- und Contra-Diskussion, Gegenüberstellung und Priorisierung von Argumenten, zugespitzte Positionen: "Pflegende müssen besonders empathiefähig sein" -><- "Pflegende müssen sich in erster Linie gut abgrenzen können" |
2 | ... aktivieren ihr Verständnis des Professionsbegriffs (vgl. Voraussetzungen) mit Hilfe der Unterscheidung zwischen diffuser und rollenförmiger Beziehungsgestaltung (Oevermann 1996) und setzen diesen in Beziehung zu den in Sequenz 2 identifizierten Dimensionen von Empathie | Lehrer*in-Schüler*innen-Gespräch, ggf. mit Rückgriff auf bereits bearbeitetes Unterrichtsmaterial und erarbeitete Unterrichtsergebnisse (vgl. Voraussetzungen) |
3 | ... formulieren Anforderungen für ihren eigenen Umgang mit Empathiefähigkeit und Empathieanforderungen im Rahmen der Praxisausbildung – „persönlicher Praxisauftrag“ | Praxisauftrag formulieren lassen, ggf. Veröffentlichung von Einzelergebnissen |
4 | ... schreiben einen Brief an sich selbst für das Ende des dritten Ausbildungsjahres, in dem sie sich auf diesen Praxisauftrag beziehen | Einzelarbeit - persönliches Schreiben, das mit einer Kopie des Praxisauftrags verschlossen für --> Chorea Huntington aufbewahrt wird |
Voraussetzungen
Weiterführungen
Entwicklung
Dokumente
Didaktischer Kommentar
Die Kompetenz, Interaktion empathisch gestalten zu können, wird für die Sozial- und Gesundheitsberufe und damit insbesondere auch für die Pflege als grundlegend und bedeutungsvoll angesehen (z. B. Ward et al., 2012; Scheu, 2012; Arens, 2006). Das Erleben einer empathischen Beziehungsgestaltung bzw. die Erfahrung von Mitgefühl sollen sich positiv auf die Lebensqualität der zu pflegenden Menschen auswirken und damit u. a. den Heilungsverlauf und das Patient*innenoutcome mitbestimmen (Ward et al. 2012; Hojat, 2007; Spiro et al., 1993) und wurde z. B. durch H. Peplau für die Pflege theoretisch begründet (ebd. mit Verw. a. Peplau, 1997; Smith/ Leir, 2008). Ungeachtet aller technischen Entwicklungen und wissenschaftlich-technologischen Begründungs- und Optimierungslinien in der klinischen Versorgung bildet Empathie den Vorstellungen verschiedener Autor*innen zufolge „den Kern“ bzw. „das Herzstück“ in der Begegnung zwischen Patient*innen und Pflegenden (Ward et al., 2012; Kelly, 2007). Die rezipierten Befunde und normativen Setzungen werden mit dem Bildungsziel verbunden, Kompetenzen von Pflegenden in der empathischen Interaktion zu fördern. Dieser Anspruch sollte, so das Verständnis der Autor*innen, gerade vor dem Hintergrund immer kleiner werdender Zeitfenster für die Pflegenden-Patient*innen-Kommunikation umso stärker betont werden (Ward et al., 2012; Ward et al., 2009). Auf das pflegerische Handeln bezogen wird dann auch von „Gefühlsarbeit“ gesprochen (Scheu, 2012; Bischoff-Wanner, 2002).
Curriculare Einordnung
Der dem Mustercurriculum zur Kommunikation in der Pflege hinterlegten Entwicklungslogik folgend (– „vom ICH zum DU zum WIR zum SYSTEM“ -) wird der unterrichtlichen Auseinandersetzung mit Fragen der empathischen Beziehung zunächst – in den ersten ein bis zwei Semestern – die Beschäftigung mit der eigenen Emotionalität der Lernenden vorgeschaltet (–> Mein erster Tag …, –> Die 4 Augen, –> Gefühlswirrwarr, –> Setz dich mal an sein Bett). Erst wenn in der Wahrnehmung und Verbalisierung der eigenen Gefühle eine gewisse Sicherheit erlangt ist, soll dann der Blick auf die Gefühle der zu pflegenden Menschen und die Verbindung von Emotio-nalität im Arbeitsbündnis gelenkt werden. Dieser Perspektivenwechsel wird in dieser Lernsituation zunächst theoretisch eingeleitet. Auch bildet Empathie eine der drei Basisvariablen für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung und damit eine Grundlage für eine personenzentrierte Interaktionsgestaltung (Rogers, 1973/ 1981; vgl. a. Schirmer/ Schall, 2015), die in –> Personenzentriert kommunizieren in den Fokus rückt. Auf dieser Grundlage können in weiteren fallbezogenen Lernsituationen und in Lernaufgaben zu den Praxiseinsätzen die Kompetenzen in der Gestaltung der pflegerischen Beziehung, in der Entwicklung eines verstehenden Zugangs zu den zu pflegenden Menschen aus unterschiedlichen Zielgruppen sowie zu einer verständigungsorientierten Gesprächsführung zu diversen Aspekten schrittweise etabliert und gefestigt werden. Eine Auseinandersetzung mit den „dunklen Seiten der Empathie“ (Breithaupt 2017) bzw. den gesellschaftlichen Implikationen von „Empathie [als; d. A.] gesellschaftliche[s] Heilsversprechen […; in einer; d.A.] stark individualisierte[n] Gesellschaft“ (Voss, 2017) sollte dann in der Reflektion der Ausbildungserfahrungen im letzten Ausbildungsjahr erfolgen.
Inhaltlicher Zusammenhang
Historisch betrachtet wurde der Begriff „Empathie“ 1909 im englischen Sprachraum von Edward Bradford Titchener, einem US-amerikanischen Experimentalpsychologen, der in Leipzig promoviert hat, als Übersetzung des deutschen Begriffs der „Einfühlung“ nach Theodor Lipps erfunden (Breithaupt, 2017, 45f, 80 [1]).
In der auf das pflegerische, agogische und therapeutische Handeln bezogenen Literatur wird das, was dem Begriff der Empathie zugeordnet wird, allerdings recht unterschiedlich gefasst und begründet. Häufig wird die Unterscheidung zwischen kognitiver und emotionaler Empathie getroffen. Das kognitiv-empathische Vermögen bezieht sich dann auf die Fähigkeit, die anderen mit ihren Erfahrungen, Sorgen, Meinungen aus ihrer Perspektive heraus zu verstehen und dieses Verständnis kommunizieren zu können. Es geht darum, das Gegenüber möglichst objektiv beschreibend wahrzunehmen und die Subjektivität der anderen Person mental zu erfassen, um Gefühle und Bedürfnisse bewusst, intellektuell bzw. rational-logisch zu erschließen, was die Fähigkeit zur Verbalisierung von Beobachtungen und vermuteten Hintergründen voraussetzt. Eine solche Haltung kann bewusst erzeugt und, die kognitiven Kompetenzen und eine entsprechende Motivation vorausgesetzt, gezielt erlernt, geübt und trainiert werden (Schirmer/ Schal,l 2015; Bischoff-Wanner, 2002, 256).
Da die Grenzlinien zwischen emotionaler und kognitiver Empathie also eher verschwimmen, scheint es sinnvoll, vielmehr von Komponenten oder Dimensionen der Empathie zu sprechen, die zusammenwirken. Hier werden von verschiedenen Autor*innen neben der emotionalen und kognitiven noch weitere ergänzt. So differenzieren z. B. Morse et al. (1992, zit. n. Müggenburg/ Broda, 2017) eine moralische Komponente (die den Gebrauch von Empathie betrifft und altruistische Anteile, die zur Empathie motivieren, aufnimmt) sowie eine Verhaltenskomponente (durch die die kommunikativen Fähigkeiten beschrieben werden, durch die Empathie zum Ausdruck gebracht werden kann). Davis (1980, zit. n. Müggenburg/ Broda, 2017) unterscheidet vier Subdimensionen von Empathie: „Perspektivenübernahme“ (Perspektive Taking – PT) bildet eine kognitive Komponente, „Fantasie“ (Fantasy – FS) beschreibt die Neigung, sich in fiktionale Charaktere und ihre Gefühlswelt zu versetzen, greift sowohl auf emotionale als auch kognitive Fähigkeiten zurück, „empathische Anteilnahme“ (Empathic Concern – EC) und „persönlicher Distress“ (Personal Distress – PD) beziehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf emotionale Komponenten, einerseits eher fremdorientierte, auf andere Personen bezogene Neigungen zur Entwicklung von Gefühlenm, wie Mitleid und Sorge, sowie andererseits auf Gefühle, die in der Person selbst in schwierigen sozialen Situationen aufkommen, wie z. B. Unwohlsein und Unruhe.
In wissenschaftlichen Untersuchungen, also z. B. auch in der Ausbildungsforschung, wird Empathiefähigkeit zumeist mit Hilfe von Fragebögen empirisch ermittelt und quantifiziert. Dabei hat ein Persönlichkeitstest, der „Interpersonal Reactivity Index“ (IRI) weltweit große Verbreitung gefunden, so dass bei seiner Verwendung auf eine große Basis von Vergleichsdaten zurückgegriffen werden kann [2]. Dieser Test basiert auf Selbsteinschätzungen zu den 4 angeführten Subdimensionen von Davis und wurde für den deutschsprachigen Raum im Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen (SPF) evaluiert übersetzt (Paulus 2016; ders. o. J.). Als solcher steht er im Januar 2018 auf der Homepage der Universität des Saarlandes als direkt online durchführbarer Test mit unmittelbarer Rückmeldung der Testauswertung zur Verfügung. Er wurde auch von Müggenburg und Broda (2017) für eine stichprobenartige Erhebung mit exemplarischem Charakter bei Pflegeauszubildenden einer Pflegeschule eingesetzt. Die Aussagen dieser Studie können – wenn auch aufgrund der Stichprobe nicht signifikant – als Bezugspunkte im Unterricht herangezogen werden.
Ward et al. (2012) legen für eine Längsschnittuntersuchung bei Pflegestudierenden die Jefferson Scale of Empathy zugrunde, die speziell auf medizinisches Personal ausgerichtet ist. Sie konstatieren als Ergebnis ihrer Studie, dass die Empathiefähigkeit im Verlauf der Ausbildung signifikant zurückgeht und dieser Rückgang vor allem auch mit der Häufigkeit von Praxiserfahrungen mit Patient*innenkontakten während bzw. vor der Ausbildung korrelliert. („… significant decline in empathy was observed among students with varied patient exposure and clinical experiences during nursing school, F(2,211)= 4.2 P<.01. […], we noticed that prior work experiences in clinical settings were associated with a significant decline in empathy, F(1,212)=10.3, P <.01” a. a. O., 37). Diese Ergebnisse weisen eindeutige Parallelen mit vergleichbaren Studien in der Mediziner*innenausbildung auf (Ward et al., 2012; Benbassat/Baumal, 2004; Hojat et al., 2009). Für diesen Bereich werden verschiedene Gründe für das konstatierte „Empathie-Rätsel“ einer wachsenden Ablehnung von Empathie als Folge vermehrter Patient*innenkontakte festgehalten, z. B. das Fehlen überzeugender/ angemessener Vorbilder, beobachtete negative Haltungen, eine einschüchternde Ausbildungsumgebung, das Erleben eigener Schwäche, schwierige erzieherische oder medizinische Aufgabenstellungen und die negative Stimmung, die die Patient*innen beitragen (Ward et al., 2012). Ward et al. (2012) weisen noch auf weitere Untersuchungen von Zusammenhängen in der Veränderung der Empathiefähigkeit hin, die z. T. zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen und konstatieren weiteren Forschungsbedarf, auch, da das Sample der Studie auf akademische Ausbildungseinrichtungen der mittleren Atlantikregion und eine quantitative Forschung begrenzt ist, so dass nicht auf tiefergehende qualitative Daten zurückgegriffen werden kann. Die Autor*innen fordern in ihrer Ergebnisdiskussion für die Vermittlung der theoretischen Grundlagen eine weniger distanzierte, auf den Erwerb von technischen Verrichtungen und „managed care“ orientierte Ausbildung in der Pflege zugunsten einer an klinischen Erfahrungen ausgerichteten Ausbildung und für die klinische Praxis eine Atmosphäre, die die Umsetzung empathischer Kompetenzen befördert.
Zentral erscheint deshalb auch die Frage, inwieweit Empathie lehr- und lernbar ist (Scheu 2012; Arends 2006). Eindeutig und vor dem Hintergrund pädagogischer Forschung auch nachvollziehbar ist hierzu, dass die bloße Vermittlung psychologischer, auf Empathie bezogener Wissensinhalte im Rahmen des theoretischen Unterrichts nicht zur Förderung von Empathiefähigkeit beiträgt (Scheu, 2012). Empfohlen werden demgegenüber vielfältige Übungen und Trainings zur Perspektivenübernahme, die vielfach vor allem auf die kognitiven Bildungsziele gerichtet sind, also auf Erkenntnis und die bewusste Erfahrung bzw. auf kognitives Verstehen (ebd.; Bischof-Wanner, 2002; aber auch Breithaupt, Irlandbeispiel).
Arens (2007, 294) hat unter Verweis auf Arnold (2004, 23–36 bzw. 2003, 29) auf die grundsätzliche Bedeutung emotionaler Kompetenz und emotionaler Selbstreflexivität für die Entwicklung von Empathiefähigkeit hingewiesen. Er sieht hier neben der angesprochenen Fähigkeit zur Verbalisierung, auf die auch Schirmer und Schall (2015) verweisen, die Notwendigkeit, dass die Lernenden zunächst über „emotional litercy“ verfügen sollten, also über eine Kenntnis der „Fülle möglicher Gefühlszustände“. Diese wären durch die Beherrschung geeigneter ‚Techniken‘ in situationsangemessenes Verhalten zu überführen. Dabei sollte ein bewusst reflektierter Umgang mit bzw. eine Reduktion negativer Extremgefühle und ein bewusster Aufbau positiver Gefühlszustände entwickelt werden. Es wäre die Erfahrung eines größeren Spektrums an Gefühlen und die Möglichkeit der emotionalen Umdeutung zu vermitteln. Abgehoben wird auf die Fähigkeit zur Selbstreflektion und einen kontrollierten Umgang mit in der Kindheit erworbenen emotionalen Mustern, die im Erwachsenenleben und insbesondere im professionellen Handeln nicht mehr angemessen eingesetzt werden können. Selbstwahrnehmung, – achtsamkeit [3], -bewusstheit, -steuerung, -regulierung und -kontrolle sowie Selbstmotivation gehen hier der Entwicklung von Empathie, Sozialer Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit voraus. Auch wenn die Prozesse der Selbstreflexion nicht als abgeschlossen betrachtet werden können, findet sich auch hier die didaktische Grundstruktur des Mustercurriculums wieder, die eine bewusste Anforderung an die Entwicklung von Empathiefähigkeit erst in der zweiten Hälfte des ersten Ausbildungsjahres verortet. Die hier vorgeschlagene Lernsituation setzt zunächst auf theoretische Bewusstwerdung und Einordnung von Begriffen, Konzept und Einstellung und auf die Einordnung in den geplanten Kompetenzaufbau in Verbindung mit vorangegangenen Lernsituationen zur Emotionspsychologie. Ein solcher, eher distanzierender Zugang erscheint an dieser Stelle notwendig, um den Lernenden die Notwendigkeit eines bewussten Umgangs mit Empathie in ihren verschiedenen Dimensionen aufzuzeigen und eine Einschätzung der beschriebenen Risiken zu ermöglichen. Für den weiteren Ausbildungsverlauf enthält der Beitrag von Arens eine Fülle methodischer Hinweise, die im Kontext von verschiedenen Lernsituationen und Fallbearbeitungen aufgegriffen werden können. Die Lernangebote sollten dabei sowohl auf eher rational-reflexive Perspektivenübernahme als auch auf ein bewusstes und gezieltes vorübergehendes Einfühlen und Mitschwingen mit den emotionalen Regungen der zu pflegenden Menschen abheben [4]. Die Autor*innen des Mustercurriculums sehen die Lehrenden hier auch in der Rolle von Lernbegleiter*innen dieses Prozesses.
Neben der Forderung nach einem Aufbau empathischer Fähigkeiten steht aber auch vielfach der Hinweis auf die Risiken, die sich vor allem dann ergeben, wenn Empathie sich der affektiven Seite und der Teilhabe an den Gefühlen des Anderen (dem „emotion sharing“) zuneigt. Hier wäre zum einen das Risiko des Überschwemmtwerdens und Betroffenseins durch die Gefühle des Anderen zu nennen, das, sofern es sich um schwierige soziale Situationen handelt, in eine „sekundäre Traumatisierung“ (Rixe et al., 2014) münden kann. Daneben steht, gleichsam als Abwehrreaktion, ein Verhalten, das von den Vertretern der Gewaltfreien Kommunikation als „empathischer Kurzschluss“ beschrieben wird (vgl. Altmann 2015, 26). Beide Symptome sollten zukünftig Pflegende kennen, um diese beiden „Risiken“ in einen bewussten Umgang mit ihren empathischen Reaktionen und Fähigkeiten zu integrieren.
[1] unter Bezug auf Ahoda, G. (2005): Theodor Lipps and the Shift ‚Sympathy‘ to ‚Empathy‘. In: Journal of Hixtry oft he Behavioral Sciences 41, S. 151-163 – Lipps verstand „… unter Einfühlung einen Grundvorgang beim unmittelbaren Verstehen von Ausdruckserscheinungen. Einfühlung ist ein inneres Mitmachen, eine imaginierte Nachahmung des Erlebens des anderen“. (zit. n. Wikipedia unter Rückgriff auf eine Diplomarbeit von Christa Dunst) – er schließt damit an David Humes Definition von Sympathie an.
[2] Davis, M. H. (1980): A Multidimensional Approach to Individual Differences in Empathy”, zit. n. Breithaupt (2017)
[3] Zur Begründung einer Vertiefung der Selbstachtsamkeit als Voraussetzung für die Entwicklung von Empathiefähigkeit, vgl. a. Köhl/David (2010)
[4] im Szenischen Spiel (z. B. Scheller 19 ) wird hierzu auf die theaterpädagogische Diskussion zwischen Stanislawski und der Schauspieltheorie Bert Brechts verwiesen: Während Stanislawski vom Schauspieler eher „Einfühlung“ fordert (sich mental, psychisch und physisch in die Rolle hineinversetzen, sie von innen heraus zu leben und dabei Unvertrautes auch emotional zu erleben) fordert Brecht die stärker distanzierte Haltung, die Schauspieler „demonstrieren“, zeigen die Situation auf der Bühne. Eine gezielte Integration von beiden theaterpädagogischen Momenten in den Pflegeunterricht (was nicht zwangsläufig nur Rollen-/ Theaterspiel bedeutet) bietet Ansatzpunkte, die Kompetenzentwicklung in beiden Dimensionen zu fördern und den Lernenden Wege aufzuzeigen, ihre Handlungsspielräume in sozialen Prozessen, wie sie die Interaktion mit zu pflegenden Menschen darstellt, zu erweitern.
Video: Lachen in der Untergrundbahn – Videodokumentation eines Experiments (z. B. https://www.youtube.com/watch?v=EeauvE1M7qc oder https://www.youtube.com/watch?v=GMsfSab5zPc)